Ladungsträgerdynamik und Photoströme im Dirac-Kegel topologischer Isolatoren

In dieser Dissertation werden Experimente vorgestellt und diskutiert, die einen Beitrag zum grundlegenden Verständnis der ultraschnellen Dynamik von Elektronen und Photoströmen im topologisch geschützten Oberflächenzustand dreidimensionaler topologischer Isolatoren leisten. Am Wichtigsten im Hinb...

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Reimann, Johannes
Beteiligte: Höfer, Ulrich (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2018
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:In dieser Dissertation werden Experimente vorgestellt und diskutiert, die einen Beitrag zum grundlegenden Verständnis der ultraschnellen Dynamik von Elektronen und Photoströmen im topologisch geschützten Oberflächenzustand dreidimensionaler topologischer Isolatoren leisten. Am Wichtigsten im Hinblick auf künftige Anwendungen ist dabei vermutlich die Entdeckung, dass sich mit THz-Strahlung in solchen Oberflächenzuständen elektrische Ströme treiben lassen, bei denen spinpolarisierte Elektronen Distanzen von einigen hundert Nanometern nahezu verlustfrei ballistisch überwinden. Auf dieser Basis lässt sich möglicherweise eine neue, Lichtwellen-getriebene Elektronik realisieren, die um drei und mehr Größenordnungen schneller wäre als die derzeitige Elektronik, deren Taktfrequenz auf den GHz-Bereich beschränkt ist. Die vorgestellten Experimente basieren auf der zeit- und winkelaufgelösten Photoelektronenspektroskopie und wurden insbesondere an den Materialien Sb2Te3 und Bi2Te3 durchgeführt, die zu den wichtigsten Prototypen dreidimensionaler topologischer Isolatoren gehören. Für die transiente Anregung von Elektronen und Photoströmen im topologisch geschützten Oberflächenzustand dieser Materialien wurden neue experimentelle Ansätze unter Verwendung ultrakurzer Laserimpulse im mittleren Infrarot (MIR) und im THz-Bereich entwickelt. Damit konnten grundlegend neue Erkenntnisse zu drei verschiedenen Themenkomplexen erzielt werden. Zunächst konnte durch die winkelaufgelöste Zweiphotonen-Photoemission (2PPE) mit Anregungsenergien im Sichtbaren erstmals die Existenz eines Dirac-Kegels in der Bandlücke von Sb2Te3 und Sb2Te2Se unzweifelhaft nachgewiesen werden. Aufgrund der intrinsischen p-Dotierung ist dieser fast vollständig unbesetzt und damit für die konventionelle winkelaufgelöste Photoelektronenspektroskopie nicht zugänglich. Durch zeitaufgelöste Messungen konnte gezeigt werden, dass die Lebensdauer der angeregten Elektronen im Dirac-Kegel beider Materialien vor allem durch die Streuung mit Elektronen im teilweise unbesetzten Volumen-Valenzband der p-dotierten Kristalle begrenzt wird. Aus temperaturabhängigen Messungen konnte gefolgert werden, dass die Elektron-Phonon-Streuung von untergeordneter Bedeutung ist, für bestimmte Anregungsenergien im Oberflächenzustand dagegen die Kopplung an das Volumen-Leitungsband einen starken Einfluss auf die beobachtete Dynamik hat. Durch den Einsatz von Laserimpulsen im mittleren Infrarot konnte in Sb2Te3 ferner erstmals eine direkte optische Anregung eines topologischen Oberflächenzustands demonstriert werden. Dabei zeigt sich, dass sich für Photonenenergien um 0,3 eV reII sonante optische Übergänge zwischen dem besetzten und unbesetzten Teil des Dirac- Kegels induzieren lassen. Diese niederenergetische, direkte Anregung resultiert einerseits in einer bezüglich der Zeit und der Energie stark lokalisierten Besetzung des Oberflächenzustands. Der Zerfall der Besetzung konnte auf diese Weise viel gezielter untersucht werden, als es die indirekte und verzögerte Besetzung nach sichtbarer Anregung erlaubt. Andererseits konnte so für geeignet orientierte Proben eine stark asymmetrische Verteilung im Impulsraum geschaffen werden, was eine Voraussetzung für die Erzeugung von Photoströmen ist. Durch die zeitaufgelöste Beobachtung der Umverteilung der Besetzung im Impulsraum konnte die für den Stromtransport entscheidende elastische Impulsstreuung der Elektronen isoliert und quantifiziert werden. Die auf diese Weise bestimmte effektive Streuzeit ist mit 2,5 ps viel länger als auf Oberflächen konventioneller Materialien und bestätigt experimentell, dass die spezielle Spinstruktur des Dirac-Kegels tatsächlich mit einer starken Einschränkungen für die Impulsstreuung einhergeht. Für bestimmte azimutale Orientierungen der Probe konnte über die Helizität der Anregungsimpulse außerdem eine Variation sowohl der Richtung als auch der Stärke der Asymmetrie erzielt werden, was für die optische Kontrolle von Photoströmen von großem Interesse ist. Schließlich konnte in enger Kooperation mit der Gruppe von Rupert Huber an der Universität Regensburg ein völlig neuartiges zeit- und winkelaufgelöstes Photoemissionsexperiment realisiert werden. In diesem Experiment werden Elektronen im topologischen Oberflächenzustand durch das elektrische Feld eines intensiven THz- Impulses beschleunigt und mit Hilfe der Photoelektronenspektroskopie mit Subzyklen- Zeitauflösung im Impulsraum beobachtet. Die Apparatur zur Photoelektronenspektroskopie aus Marburg wurde dazu mit dem Laseraufbau der Huber-Gruppe in Regensburg kombiniert. Mit den verwendeten THz-Impulsen bei einer Frequenz um 1 THz und einer Energie von 1 μJ pro Impuls konnten elektrische Feldstärken von bis zu 2,8 kV/cm entlang der Oberfläche von Bi2Te3 Proben erreicht werden. Dieses Feld führt zu einer deutlichen Beschleunigung der Elektronen im Oberflächenzustand und zu einer Verschiebung des gesamten Fermikreises im Impulsraum um bis zu 7% des Fermiwellenvektors. Damit verbunden ist eine kurzzeitig sehr hohe Oberflächenstromdichte von 2 A/cm. Ein für die zeitaufgelöste Photoemission neuer, experimenteller Aspekt der THz- Anregung besteht darin, dass die Wechselwirkung der elektrischen THz-Felder mit den photoemittierten Elektronen auch außerhalb der Probe nicht vernachlässigbar ist. Es wurden Verfahren entwickelt, mit denen die Photoelektronenspektren sehr genau korrigiert werden konnten, sodass die THz-Felder im Vakuum keine Einschränkung für die Energie- und Winkelauflösung der Messdaten darstellten. Gleichzeitig konnte mit diesen Verfahren sowohl die absolute Amplitude als auch der genaue Zeitverlauf des elektrischen Feldes an der Oberfläche in situ bestimmt werden. III Die genaue Kenntnis des Feldes ermöglicht es, aus der zeitaufgelösten Beobachtung der Elektronenverteilung im Oberflächenzustand, die charakteristischen Streuzeiten für elastische und inelastische Elektronenstreuung zu bestimmen. Dazu wurde die gemessene Elektronenverteilung mit semiklassischen Rechnungen unter Verwendung der Boltzmann-Gleichung verglichen. In Bi2Te3 liegen die Streuzeiten in der Größenordnung von 1 ps oder sogar darüber. Es zeigt sich also auch bei einer solchen, echten Transportmessung in der Zeitdomäne, dass die Streuzeit für den ballistischen Elektronentransport in einem topologisch geschützten Oberflächenzustand um mehr als zwei Größenordnungen länger als in konventionellen Materialien ist. Zusammen mit der trägheitsfreien Beschleunigung der Elektronen im quasirelativistischen Dirac-Kegel ergeben sich damit mittlere freie Weglängen für den ballistischen Transport von einigen hundert Nanometern. Außerdem laufen Elektronenimpulse aufgrund der linearen Dispersion räumlich nicht auseinander. Beide Eigenschaften sind für die Realisierung einer ultraschnellen Elektronik äußert vorteilhaft. Mit den Ergebnissen dieser Arbeit erscheint es vielversprechend, topologische Isolatoren als Basis für die Entwicklung zukünftiger Lichtwellen-getriebener elektronischer Bauteile zu nutzen, die mit THz-Taktfrequenzen arbeiten.
Umfang:192 Seiten
DOI:10.17192/z2018.0503