Effects of concentrate feed levels and herd management on roughage feeding behaviour of dairy goats

• Ziegen waren 10.000 v. Chr. die ersten domestizierten Wiederkäuer. Sie wurden vor allem aufgrund ihrer geringen Körpergröße, Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Anspruchslosigkeit beim Futter geschätzt. Auch heute noch wird die "Kuh des armen Mannes" als Existenzsicherung vor alle...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Schaefer, Sybille
Beteiligte: Beck, Lothar A. (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2016
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:• Ziegen waren 10.000 v. Chr. die ersten domestizierten Wiederkäuer. Sie wurden vor allem aufgrund ihrer geringen Körpergröße, Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Anspruchslosigkeit beim Futter geschätzt. Auch heute noch wird die "Kuh des armen Mannes" als Existenzsicherung vor allem in Schwellenländern gehalten. Aber auch im hochindustrialisierten Deutschland hat die Zahl der Ziegen, aufgrund der Vermarktung von Ziegenkäse und -fleisch u.a. als Delikatesse, in den vergangenen Jahren zugenommen. • In Europa werden Ziegen (wie auch Rinder) auf hohe Leistungen (Milch, Fleisch) gezüchtet. Um die genetisch prädisponierte Leistungsfähigkeit voll ausschöpfen zu können, werden die Tiere mit Kraftfutter gefüttert (z. B. Weizen, Soja, Mais). Dies ist im globalen Kontext problematisch, betrachtet man die komplexen Diskussionen um Regenwaldvernichtung, Klimawandel und Welternährung. • Ziegen sind beim Futter sehr anspruchslos, jedoch selektieren sie äußerst stark, wenn das Futterangebot dies zulässt. Ihre fakultative Bipedie und ihre hohe Kletterfähigkeit ermöglicht es Ziegen zudem an Blätter und junge Zweige heranzukommen. Das Verdauungssystem der Ziegen ist bezüglich der Cellulose-Verwertung noch effizienter als das von Schafen und Rindern. • Aufgrund dieser speziellen Ernährungsphysiologie sowie ihres Futterselektionsverhaltens waren Ziegen prädestiniert für die vorliegende Untersuchung. Ziel dieser Doktorarbeit war, potentielle kompensatorische Verhaltensmuster der Raufutteraufnahme von Milchziegen zweier Altersstufen unter kommerziellen Praxisbedingungen zu untersuchen. Dazu wurde das Verhalten von 16 Jungziegen (Alter: ca. 8 Monate, davon 9 Tiere genetisch hornlos) und 41 bzw. 51 erwachsenen, behornten Milchziegen (Alter: 2 bis 7 Jahre) der Rasse "Bunte Deutsche Edelziege" in verschiedenen Untersuchungsansätzen auf Individuen- und Gruppen- bzw. Herdenebene analysiert. Die Untersuchungstiere wurden nach ökologischen Richtlinien (EU-Öko-Verordnung Nr. 889/2008, Durchführungsbestimmung Nr. 834/2007 sowie "BioSuisse") in einem Tiefstreulaufstall-System gehalten, mit täglichem Weidegang und ad libitum Heuangebot am Futtertisch. Alle Beobachtungen fanden in Wulmenau (Schleswig-Holstein) auf dem Versuchsbetrieb des Johann Heinrich von Thünen-Instituts für Ökologischen Landbau statt, unter kommerziellen Produktionsbedingungen bei unveränderten Betriebsabläufen. • Die vorliegende Dissertation umfasst drei Studien, welche das gesamte Spektrum an ethologischen Forschungsansätzen abdecken: Es wurde ein methodischer, experimenteller und empirischer Ansatz gewählt. • Die Datenerfassung der methodischen Studie schloss Direktbeobachtungen (Behaviour Sampling), digitale Fotografien (Instantaneous Scan Sampling) und digitale Videoaufnahmen (kontinuierliche Aufnahmen mit Instantaneous Time Sampling im Nachgang) ein. Für die experimentelle Untersuchung wurden die Daten mittels Direktbeobachtungen (Behaviour Sampling) und digitalen Videoaufnahmen (kontinuierliche Aufnahmen mit Instantaneous Time Sampling im Nachgang) erhoben. Die Daten zur empirischen Studie entstammen ausschließlich Direktbeobachtungen (Continuous Focal Animal Sampling). Sämtliche Datenauswertungen erfolgten mittels Microsoft© Excel und der Statistiksoftware „R" (Version 3.2.1). • In der vorangestellten Methodenstudie wurden verschiedene optische Erfassungs- und Auswertungsmethoden des Futteraufnahmeverhaltens jeweils im Stall und auf der Weide hinsichtlich ihrer Reliabilität und Effizienz geprüft. Dazu wurde das Verhalten simultan per Direktbeobachtung, Momentaufnahmen und Videoaufzeichnungen über insgesamt 6 Stunden im 3-Minuten-Intervall erfasst (bzw. im Falle der Videoaufzeichnungen im Nachgang im 3-Minuten-Intervall ausgewertet). Die Übereinstimmungsausmaße der Stichproben-Datensätze mit einem vollständigen Referenzsatz wurden mittels Bland-Altman-Verfahren quantifiziert. Dieses Verfahren wird in der Verhaltensforschung bislang wenig berücksichtigt; es findet vorrangig in der Humanmedizin als Standardverfahren für Methodenvergleiche Anwendung. (In der medizinischen Forschung kommt der Eignung des Verfahrens für den Vergleich zwischen etablierter und alternativer Behandlungsmethode besondere Bedeutung zu, denn dort hängen von der Entscheidung, ob die alternative Methode tatsächlich geeignet ist, Menschenleben ab.) Die Bewertung der Reliabilität anhand der Übereinstimmungsmaße erfolgte durch den "Median der prozentualen Abweichungen", der als quantitatives Akzeptanzkriterium neu entwickelt und eingeführt wurde. Das in der vorliegenden Dissertation verwendete, mehrschrittige Vorgehen bei den Reliabilitätsprüfungen ist universell anwendbar und hat damit das Potenzial, zukünftig zu einer größeren Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Arbeiten beizutragen. Anhand der kontinuierlichen Videoaufnahmen wurden im zweiten Schritt Datensätze von Intervalllängen zwischen 3 und 12 Minuten generiert und hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit einem im 1-Minuten-Takt erhobenem Datensatz verglichen. Für die Erfassung des Futteraufnahmeverhaltens von größeren Herden (n = 41 bzw. 51 Tiere) im Stall und auf der Weide eigneten sich ausschließlich kontinuierliche Videoaufnahmen, um die zeitgerastert ausgezählten Daten durch Vor- und Zurückspulen komplettieren zu können. Im Stall stellten 3 Minuten das größtmögliche Intervall dar, um das Verhalten repräsentativ zu erfassen. Auf der Weide nahmen die Ziegen fünfmal so häufig Futter auf wie im Stall, weshalb hier auch 5 und 8 Minuten hätten Anwendung finden können. Ausschlaggebend für die Wahl der größtmöglichen Intervalllänge waren die entscheidenden Unterschiede in der Struktur der zeitlichen Organisation des Verhaltens (Dauer, Häufigkeit). • Die 41 adulten Ziegen waren bereits drei Jahre vor Studienbeginn hinsichtlich ihrer Kraftfutterration in zwei Versuchsgruppen aufgeteilt worden, bildeten aber eine gemeinsame Herde. Gruppe A (n = 18) erhielt 40 % Kraftfutter in der Jahresration an Trockenmasse (= 1000 g pro Tier und Tag während der Laktation) und Gruppe B (n = 23) erhielt 10 % Kraftfutter (= 100 g). Die Kraftfuttergabe erfolgte während des Melkens. In der experimentellen Studie wurde das Raufutteraufnahmeverhalten (Heu, Gras) im Stall und auf der Weide über insgesamt 30 Stunden mittels Videoaufnahmen erfasst, die anschließend instantan im 3 Minuten-Intervall ausgewertet wurden (Ergebnis: 600 Datenpunkte pro Tier = insgesamt 24.600). Zur Ermittlung der Dominanzhierarchie wurden über insgesamt 97 Stunden alle rangrelevanten Interaktionen mittels Behaviour Sampling erfasst (i = 4.017). Für die Analysen wurden die 240 Tage Milchleistung, das Lebendgewicht pro Individuum sowie der Fett-Eiweiß-Quotient der Milch einbezogen. Eine positive Beziehung zwischen Kraftfuttermenge und Produktivität konnte bestätigt werden. In beiden Gruppen wies der Fett-Eiweiß-Quotient auf einen ausgewogenen Ernährungszustand hin. Tiere der Gruppe B hatten ein geringeres Gewicht ( 6 %) und eine niedrigere Milchleistung ( 17 %) als Tiere der Gruppe A sowie signifikant höhere Raufutteraufnahmehäufigkeiten. Zusammengenommen ergibt sich daraus das Bild einer partiell kompensatorischen Raufutteraufnahme. Die Dominanzindizes und die Futteraufnahmehäufigkeiten beider Gruppen korrelierten hinsichtlich der Heuaufnahme im Stall positiv und des Grasens auf der Weide signifikant negativ. Die Weide hat für rangniedrige Ziegen eine besondere kompensatorische Relevanz, denn ranghöhere Tiere können das Grünfutter auf der Weide nicht (oder nur in sehr geringem Ausmaß) monopolisieren. Im Stall hingegen ist ein hohes Potential der Monopolisierung von Heu gegeben, sodass rangniedrigere Tiere häufig an der Heuaufnahme gehindert werden. Wägt man die geringere Produktivität bei einer kraftfutterreduzierten Fütterung gegen die Kraftfuttereinsparungen ab, kann sich ein geringerer Kraftfuttereinsatz finanziell insgesamt auszahlen. Im Sinne des ethischen Tierschutzes sollte die Kraftfuttermenge in jedem Fall auf das Nötigste begrenzt werden, da es sonst zu schweren Erkrankungen (z. B. Pansen-Azidose) kommen kann. • Die 16 Jungziegen der empirischen Studie wurden dem üblichen Betriebsablauf entsprechend anhand ihres Gewichts in zwei Gruppen eingeteilt und anschließend mit drei Wochen Abstand voneinander in die etablierte Herde der 41 adulten Ziegen eingeführt. Die Jungziegen der Gruppe 1 waren ca. zwei Monate älter und schwerer als die der Gruppe 2. Die Datenerfassung fand über zwei (jeweils sechswöchige) Beobachtungsperioden statt, zwischen denen ca. zwei Wochen lagen. Das Futteraufnahmeverhalten wurde sekundengenau über insgesamt 174 Stunden im Stall erfasst. Bei der Datenaufnahme wurde zwischen vier Kategorien des Heu- und Strohaufnahmeverhaltens ("normales Fressen", "achtsames Fressen", "durch die Barriere am Ende des Futtertischs fressen" und "Stroh vom Boden des gesamten Laufstalls fressen") differenziert, die sich in ihrem Ausmaß der Konkurrenzvermeidung durch räumliches Ausweichen unterschieden. Hinsichtlich der Kombination der prozentualen Anteile der vier Kategorien ("Profile") bestand eine große individuelle Variabilität. Durch Anordnen der Profile anhand zweier Dimensionen (Quantität und Qualität) ihrer primären Kategorie konnten fünf Haupttypen und insgesamt neun Untertypen differenziert werden. In jedem der beiden Beobachtungszeiträume kamen fünf der insgesamt neun Typen vor, wobei sich sowohl die Typen als auch die Zuordnung der Individuen unterschieden. Beim "Gemischten Typus" waren immer mindestens drei Kategorien vorhanden und jede von ihnen hatte einen prozentualen Anteil von < 50 %. Bei den „Primären Typen“ hatte eine Kategorie einen prozentualen Anteil von mindestens 50 %. Der Primäre Typus wurde nochmals in einen stark ausgeprägten (≥ 75 %) und moderaten (≥ 50 % bis < 75 %) Typus unterteilt. Fremde, neu eingeführte Tiere müssen zunächst ihren Platz im Sozialgefüge (z.B. Bindungs- und Dominanzstrukturen) finden. In der ersten Untersuchungshälfte überwog mit Abstand die Verhaltenskategorie mit dem stärksten räumlichen Ausweichcharakter; von Zeitraum 1 zu 2 nahm ihre Prävalenz ab, jedoch stellte ein normales Fressen über die gesamte Untersuchungszeit hinweg die Ausnahme dar. Die 16 Jungziegen waren in zweifacher Weise (sowohl als neue Herdenmitglieder als auch als jüngste Tiere) hinsichtlich des rangabhängigen Zugangs zum Futtertisch benachteiligt. Die Analyse der Futteraufnahmetypen der Jungziegen ergab, dass sie individuelle Verhaltensmuster entwickeln, um die Konfrontation am Futtertisch mit ranghöheren (adulten) Ziegen zu vermeiden und dennoch Futter aufnehmen zu können. • Die beiden Studien zur kompensatorischen Raufutteraufnahme werten die Bedeutung von Raufutter (Gras, Heu und sogar Stroh) gegenüber der von Kraftfutter auf. Das Nutzen des Konkurrenzausweichverhaltens niedrigrangiger Herdenmitglieder bietet im Fütterungsmanagement einen Ansatzpunkt zur Maximierung der Herdengesamtproduktivität. Durch eine solche Berücksichtigung umfassender und differenzierter Kenntnisse des Raufutteraufnahmeverhaltens und der kompetitiv-kompensatorischen Aspekte lassen sich sowohl Tierwohl (ethischer Tierschutz) als auch ökonomische Effizienz (anthropozentrischer Tierschutz) steigern und rentieren sich daher für den Tierhalter in mehrfacher Hinsicht.
DOI:10.17192/z2016.0853