Validierung der "Overcommitmentskala" des Modells beruflicher Gratifikationskrisen

In Zeiten der Globalisierung und steigendem Leistungsdruck erlebt die Gesellschaft eine zunehmende Verlagerung des Belastungsspektrums von physischer zu psychomentaler Beanspruchung. Der Anstieg psychosozialer Arbeitsanforderungen stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die psychische und physisc...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Schirmer, Svenja
Beteiligte: Basler, H.-D. (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2015
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:In Zeiten der Globalisierung und steigendem Leistungsdruck erlebt die Gesellschaft eine zunehmende Verlagerung des Belastungsspektrums von physischer zu psychomentaler Beanspruchung. Der Anstieg psychosozialer Arbeitsanforderungen stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die psychische und physische Gesundheit dar. Ein theoretisches Modell, welches die Erforschung der Zusammenhänge von arbeitsbezogenen Faktoren und der gesundheitlichen Situation zum Ziel hat, ist das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist (1996a, 2002). Im Zentrum dieses Modells steht das Ungleichgewicht von fortgesetzt hoher Verausgabung einerseits und nicht angemessen gewährten Belohnungen andererseits. Das Fragebogeninstrument zur Messung beruflicher Gratifikationskrisen wurde in zahlreichen Ländern eingesetzt und seine Validität konnte in einer Vielzahl von Metaanalysen und systematischen Reviews belegt werden. Das Modell spezifiziert zwischen extrinsischen und intrinsischen (personalen) Verausgabungskomponenten. Die so genannte intrinsische Verausgabung wird mit der Overcommitment-Skala (OC-Skala) erfasst. In einer Vielzahl von Studien konnte die prädiktive Kraft der OC-Skala im Zusammenhang mit physischen und psychischen Symptomen belegt werden. Primäres Ziel dieser Arbeit ist die Bestimmung der Bedeutung der intrinsischen Verausgabungskomponente des Modells auf theoretischer Ebene. Sekundäres Ziel dieser Arbeit ist die Klärung der Frage, ob die Operationalisierung des Konstruktes OC der theoretischen Definition von Siegrist entspricht, da in der Literatur mehrfach Zweifel an der Validität des Fragebogeninstruments geäußert wurden. Siegrist definiert die intrinsische Verausgabungskomponente als übersteigerte, berufliche Verausgabungsneigung, jedoch fallen in der Literatur weitere Beschreibungen des Konstrukts auf. Overcommitment wird als einen Mangel an Distanzierungsfähigkeit beschrieben. Ebenso wird eine inhaltliche Nähe zu Schlaf postuliert. In der Literatur werden infolgedessen mehrfach Zweifel an der Konstruktvalidität geäußert. Auf Basis der verschiedenen Beschreibungen des Konstrukts OC in der Literatur wird die OC-Skala gemeinsam mit bewährten, konstruktnahen Fragebogeninstrumente getestet. Diese beinhalten die Skalen zur Verausgabungsneigung, zur Distanzierungsfähigkeit und zu Perfektionsstreben des AVEMs (Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster) von Schaarschmidt und Fischer (1996) sowie die Schlafskala des FEGs (Fragebogen zur Erfassung des Gesundheitsverhaltens) von Dlugosch und Krieger (1995). An einer Stichprobe bestehend aus 299 deutschen Lehrkräften werden diese Messinstrumente untersucht. Auf Basis dieser Erhebungsdaten lässt sich faktorenanalytisch mit Hilfe der Hauptachsen-, Hauptkomponenten- und Maximum-Likelihood-Analyse zeigen, dass die OC-Skala und die Skala zur Distanzierungsfähigkeit des AVEMS dasselbe Konstrukt erfassen. Die Skala zur Verausgabungsneigung des AVEMS und die OC-Skala zeigen eine zweifaktorielle Lösung und messen demnach zwei unterschiedliche Konstrukte. Die zentrale postulierte Nähe des Konstrukts OC zu Verausgabungsneigung muss demnach verworfen werden. Dies gilt auch für die Hypothesen das Konstrukt OC erfasse inhaltlich Perfektionsstreben oder Schlaf. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die bisherige inhaltliche Interpretation der intrinsischen (personalen) Verausgabungskomponente als übersteigerte Verausgabungsneigung zurückzuweisen ist. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist das Modell beruflicher Gratifikationskrisen folgendermaßen umzuinterpretieren: Die Verausgabungskomponenten des Modells sind die extrinsische Verausgabung sowie die intrinsische Komponente, welche durch einen Mangel an Distanzierungsfähigkeit geprägt ist. Der Erwerbstätige führt durch fehlende Fähigkeit sich kognitiv von der Arbeit zu distanzieren die Gratifikationskrise selbst herbei. Die Intensität und die Dauer der Verausgabung sind nicht wie durch Siegrist postuliert von Bedeutung. Die zahlreich ermittelten Zusammenhänge der intrinsischen Verausgabungskomponente mit physischen und psychischen Symptomen sind nach den Ergebnissen dieser Studie ebenfalls um zu interpretieren. Hinter der prädiktiven Kraft dieser Komponente steht nicht wie postuliert die übersteigerte Verausgabungsneigung, sondern vielmehr der Mangel an Distanzierungsfähigkeit. Insgesamt weisen die Ergebnisse auf die Bedeutsamkeit der Distanzierungsfähigkeit im Rahmen der beruflichen Belastungssituation hin und ermutigen zu theoriegeleiteten Interventionsmaßnahmen.
DOI:10.17192/z2015.0165