Sollen wir Sterbehilfe leisten? Zum Einfluss des Medizinstudiums auf die moralischen Einstellungen der Studierenden und zum empirischen Nachweis der Wirkmächtigkeit ethischer Argumente in der Sterbehilfedebatte. Eine Umfrage unter Medizinstudierenden.

Die verschiedenen Formen von Sterbehilfe sind in den letzten Jahren zunehmend in das Blickfeld medizinethischer Debatten gerückt. Insbesondere werden die Tötung auf Verlangen und der ärztlich assistierte Suizid kontrovers diskutiert. In verschiede-nen Studien wurden Meinungsbilder der Allgemeinbevöl...

Ausführliche Beschreibung

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Brossmann, Martin
Beteiligte: Seifart, Carola (PD Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2015
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
Tags: Tag hinzufügen
Keine Tags, Fügen Sie den ersten Tag hinzu!
Beschreibung
Zusammenfassung:Die verschiedenen Formen von Sterbehilfe sind in den letzten Jahren zunehmend in das Blickfeld medizinethischer Debatten gerückt. Insbesondere werden die Tötung auf Verlangen und der ärztlich assistierte Suizid kontrovers diskutiert. In verschiede-nen Studien wurden Meinungsbilder der Allgemeinbevölkerung sowie von Ärzten und Medizinstudierenden erhoben. Hierbei wurde überwiegend danach gefragt, ob bestimmte Sterbehilfeformen gesetzlich zugelassen werden sollten oder nicht. In der vorliegenden Studie wurden die Einstellungen zur moralischen Zulässigkeit von Sterbehilfe bei Medizinstudierenden mittels Fallvignetten erfragt. Weiterhin wurden diese mit den Einstellungen der Studierenden zu verschiedenen Argumenten, wie beispielsweise Patientenautonomie, Tötungsverbot und Ärztebelastung, mittels linearer Regression in Bezug gesetzt, um die Bedeutung dieser Argumente als mögli-che moralische „Wegweiser“ zu evaluieren. Bei gutem bis sehr gutem Sachkenntnisstand differenzierten die Medizinstudierenden kontextabhängig sehr deutlich zwischen den verschiedenen Sterbehilfeformen und bewerteten diese hinsichtlich ihrer moralischen Zulässigkeit unterschiedlich. Indirekte Sterbehilfe wurde überwiegend als moralisch zulässig angesehen. Der passiven Sterbehilfe stimmten die Medizinstudierenden ebenfalls moralisch überwiegend zu, wobei die Zustimmung niedriger ausfiel als erwartet. Die umstrittene aktive Sterbehilfe wurde moralisch überwiegend abgelehnt. Der ärztlich assistierte Suizid erhielt nur in einem Fall, in dem ein Patient aufgrund von einer tödlichen Krankheit und unerträglichen Schmerzen sein Leben beenden wollte, die moralische Zustimmung der Studierenden. Trotz der bekannten Limitierungen im Hinblick auf den Rückschluss von empirischen Ergebnissen auf normative Grundannahmen kann die Studie als Hinweis dienen, dass die befragte Gruppe der Medizinstudierenden in Bezug auf die Bewertung der moralischen Zulässigkeit verschiedener Sterbehilfeformen sehr gut differenzierten, wobei die zugrunde liegenden Argumente im Vergleich zum öffentlichen oder Expertendiskurs teilweise unterschiedlich gewichtet wurden. Für die moralischen Bewertungen beider umstrittener Sterbehilfeformen waren erwartungsgemäß das Tötungsverbot und unerwartet die Ärztebelastung von großer Bedeutung. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass eine mögliche moralische Belastung der Ärzte, welche durch die Ausführung der umstrittenen Formen der Sterbehilfe entstehen kann, als Argument im normativ-ethischen Diskurs stärker als bisher berücksichtigt werden sollte. Interessanterweise wurde dem grundlegendsten Argument zur Befürwortung der umstrittenen Formen der Sterbehilfe, dem Respekt vor der Patientenautonomie, seitens der befragten Studierenden zwar hinsichtlich des ärztlich assistierten Suizids eine sehr große Bedeutung zugesprochen, nicht jedoch in Bezug auf die aktive Sterbehilfe. Ob dies durch eine Güterabwägung, eine (noch) vorherrschende paternalistische Haltung oder ein rein materiales Verständnis von Patientenautonomie (im Sinne einer reinen Handlungsautonomie) erklärbar ist, kann diese Studie nicht beantworten. Die Beobachtung, dass die Patientenautonomie als rechtfertigendes Argument bezüglich der beiden umstrittenen Sterbehilfeformen differenziert bewertet wurde, sollte jedoch als Hinweis gewertet werden, dass in der Debatte über Sterbehilfe sichergestellt werden muss, dass die den Argumenten zugrunde liegenden normativ-ethischen Konzepte bekannt sind.
Umfang:161 Seiten
DOI:10.17192/z2015.0142