Elektrophysiologische in vivo und in vitro Eigenschaften von dopaminergen Mittelhirnneuronen im D2-Rezeptor-Überexpressionsmodell der Schizophrenie

Schizophrenie ist eine komplexe psychiatrische Erkrankung, die weltweit etwa 1 % der Bevölkerung betrifft. Mit Hilfe von funktioneller Bildgebung konnte gezeigt werden, dass untherapierte Schizophrenie-Patienten im Striatum eine erhöhte Dichte und Besetzung des Dopamin (DA) D2-Rezeptors (D2R) aufwei...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Krabbe, Sabine
Beteiligte: Decher, Niels (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2012
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Schizophrenie ist eine komplexe psychiatrische Erkrankung, die weltweit etwa 1 % der Bevölkerung betrifft. Mit Hilfe von funktioneller Bildgebung konnte gezeigt werden, dass untherapierte Schizophrenie-Patienten im Striatum eine erhöhte Dichte und Besetzung des Dopamin (DA) D2-Rezeptors (D2R) aufweisen. In einer Untergruppe der Betroffenen ist dies genetisch bedingt. Mäuse mit einer reversiblen D2R-Überexpression selektiv in striatalen Projektionsneuronen (D2R OE Mäuse) weisen Defizite in Funktionen des Arbeitsgedächtnisses, der Verhaltensflexibilität und der Motivation auf, was kognitiven und negativen Endophänotypen der Schizophrenie entspricht. Kognitive Prozesse werden maßgeblich durch die Freisetzung von DA im präfrontalen Cortex (PFC) moduliert, motivationale Prozesse durch DA im Nucleus accumbens (NAc). Interessanterweise werden die Verhaltensauffälligkeiten im D2R OE Modell von einem erhöhten ex vivo DA Gewebegehalt und einer gesteigerten DA-Rezeptor Sensitivität im PFC begleitet, was auf eine Dysfunktion des DA Mittelhirnsystems hinweist. In der vorliegenden Arbeit wurde das D2R OE Mausmodell verwendet, um die Auswirkungen der erhöhten Dichte von striatalen postsynaptischen D2R auf die elektrische Aktivität der DA Mittelhirnneurone zu untersuchen, welche die DA Freisetzung in den Projektionsgebieten entscheidend bestimmt. Zusätzlich zu den DA Neuronen des ventralen tegmentalen Areals (VTA), die unter anderem in den PFC und NAc projizieren, wurden DA Neurone der Substantia nigra (SN) untersucht, die durch DA Freisetzung im dorsalen Striatum die Willkürmotorik modulieren. Zur Identifikation und exakten Lokalisation der DA Neurone wurden elektrophysiologische in vivo Einzelzellmessungen im ventralen Mittelhirn von anästhesierten Mäusen mit juxtazellulärem Labelling und immunhistochemischen Färbungen kombiniert. DA VTA Neurone der D2R OE Mäuse wiesen eine reduzierte mittlere Frequenz auf, sowie eine verminderte Burst-Aktivität. Die Eigenschaften der DA SN Neurone waren dagegen nicht verändert. Die geringere phasische Aktivität der DA VTA Zellen war auch noch nach fünfwöchigem Abschalten der transgenen D2R-Überexpression zu beobachten, während sich ihre tonische Aktivität wieder normalisierte. Um zu untersuchen, ob Veränderungen der intrinsischen zellulären Eigenschaften für die reduzierte in vivo Aktivität von DA VTA Neuronen der D2R OEs verantwortlich sind, wurden projektionsspezifische elektrophysiologische in vitro Analysen von DA Subpopulationen durchgeführt. Dieses wurde durch die Kombination von retrogradem in vivo Tracing, in vitro Patch-Clamp-Messungen und anschließender immunhistochemischer Identifikation des DA Phänotyps ermöglicht. Mesocorticale und mesolimbische DA VTA Neurone von D2R OE Mäusen wiesen im Vergleich zu Kontrolltieren in vitro eine signifikant erhöhte intrinsische Schrittmacheraktivität auf, welche auch nach fünfwöchigem Abschalten der transgenen D2R-Überexpression persistierte. Im Gegensatz dazu war die Spontanfrequenz der DA SN Neurone von D2R OEs auch in vitro unverändert. Eine detaillierte Analyse der Eigenschaften von spannungsabhängigen Ionenkanälen, die dem Schrittmacherrhythmus zugrunde liegen, lieferte keine Unterschiede zwischen DA VTA Neuronen von D2R OEs und Kontrollen. Allerdings konnte eine komplette synaptische Isolation durch pharmakologische Blockade von NMDA-Rezeptoren die erhöhte Frequenz von mesolimbischen DA VTA Neuronen der D2R OEs normalisieren. Evozierte NMDA-Rezeptor vermittelte Ströme in mesolimbischen DA VTA Neuronen von D2R OE Mäusen wiesen signifikant langsamere Decay-Kinetiken auf, die auch nach dem Abschalten der D2R-Überexpression erhalten blieben. Applikation des selektiven NR2B-Antagonisten Ifenprodil normalisierte diese langsameren Kinetiken in den Neuronen der D2R OEs, ohne die NMDA-Ströme in Kontrollzellen zu verändern. Da die Aktivität der mesolimbischen DA VTA Neurone von D2R OEs in Ifenprodil ebenfalls wieder Kontrollniveau erreichte, konnten diese NR2B-haltigen NMDA-Rezeptoren als Ursache für die erhöhte in vitro Spontanfrequenz identifiziert werden. Motivationsgesteuertes Verhalten wird entscheidend durch tonisch freigesetztes DA im NAc beeinflusst. Die transient verminderte mittlere in vivo Frequenz der DA VTA Neurone könnte daher für das ebenfalls reversible Motivationsdefizit der D2R OE Mäuse verantwortlich sein. Dieser Effekt wird vermutlich durch eine veränderte afferente Modulation der DA VTA Neurone unter akuter D2R-Überexpression hervorgerufen, da die intrinsische in vitro Aktivität bei NMDA-Rezeptor-Blockade und somit in kompletter synaptischer Isolation unverändert ist. Phasische DA Freisetzung im PFC durch Burst-Aktivität der DA VTA Neurone ist dagegen essentiell für die Funktion des Arbeitsgedächtnisses. Die irreversibel reduzierte phasische Aktivität der DA VTA Neurone könnte daher die ebenso persistierenden kognitiven Defizite der D2R OE Mäuse verursachen. In DA VTA Neuronen stellen synaptische NMDA-Rezeptoren die wichtigste zelluläre Komponente zur Burst-Induktion dar. Die hier nachgewiesenen atypischen NMDA-Rezeptoren mit NR2B-Untereinheit könnten ein Hinweis auf eine entwicklungsabhängige synaptische Dysfunktion in DA VTA Neuronen sein, welche das persistierende Burst-Defizit hervorrufen könnte. Weitere geplante Experimente zur Analyse der molekularen Zusammensetzung von NMDA-Rezeptoren in den DA VTA Neuronen von D2R OE Mäusen könnten somit neue Ansätze für pharmakologische Targets bei der Behandlung der bis heute weitgehend therapieresistenten negativen und kognitiven Symptome liefern.
DOI:10.17192/z2013.0040