Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold

Der Titel der Dissertation ist „Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold“. Das Thema ist in zweifacher Hinsicht von forschungsgeschichtlichen Interesse: zum einen tritt eine wichtige Etappe in der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Reformators in den Blick, zum andern kann die Untersuchung einen au...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Lee, Sang Jo
Beteiligte: Schneider, Hans (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2011
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Der Titel der Dissertation ist „Luther-Rezeption bei Gottfried Arnold“. Das Thema ist in zweifacher Hinsicht von forschungsgeschichtlichen Interesse: zum einen tritt eine wichtige Etappe in der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Reformators in den Blick, zum andern kann die Untersuchung einen aufschlussreichen Beitrag zu der Frage nach dem Verhältnis des Pietismus zur Reformation leisten. Trotzdem wurde dieses Thema in der Forschung noch nicht gründlicher behandelt. Die Arbeit folgt aus sachlichen Erwägungen einem chronologischen Aufbau. In der „Einleitung“ gibt der Autor zunächst einen Forschungsbericht, formuliert Leitfragen und Ziel der Arbeit. Der Forschungsbericht skizziert als wichtige Beiträge zum Thema die Arbeiten von Horst Stephan, Ernst Walter Zeeden, Bernhard Lohse, Harry Oelke, die sich vor allem auf Arnolds Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie beziehen, und Volker Keding, der zu wenig Belege für seine Sicht des ältere Arnold beibringt. In der eigenen Untersuchung will sich der Autor auf drei leitende Gesichtspunkte konzentrieren: 1. Welches Lutherbild wurde Arnold während seines Studiums in Wittenberg durch seine theologischen Lehrer vermittelt? 2. Welche Bedeutung hat die Theologie Luthers für Arnolds eigenen theologischen Standpunkt gewonnen? 3. Gegenüber der Engführung der bisherigen Forschung auf die Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie möchte der Autor die Quellenbasis um spätere Schriften erweitern, um so die kontroverse Frage nach Kontinuität oder Diskontinuität (biographische und theologische „Brücke“) im Spiegel der Lutherdarstellung Arnolds betrachten zu können. In Kap. II untersucht der Autor das Lutherbild vor Gottfried Arnold. Er behandelt das Bild des Reformators, wie es Arnold während seiner Studienzeit in Wittenberg bei seinen theologischen Lehrern begegnete. Mit der Frage nach dem Bild Luthers, das Arnolds Wittenberger akademische Lehrer ihm vermittelt haben, betritt der Autor forschungsgeschichtliches Neuland – wie denn überhaupt die Studienzeit Arnolds noch wenig erschlossen ist. Besonders erschwert das Fehlen erhaltener Vorlesungsverzeichnisse aus jenen Jahren den Versuch, eine Vorstellung von den Gegenständen des akademischen Unterrichts zu gewinnen. Der Autor hat Arnolds eigene Angaben in seinem Lebenslauf über seine Studien ausgewertet, sich dann anhand der Literatur ein Bild von der Wittenberger (philosophischen und) theologischen Fakultät verschafft und durch die Publikationen der Lehrer Arnolds vertieft. Neben den von Zeeden (Bd. 2: Dokumente) bereitgestellten Auszügen aus Werken orthodoxer Theologen, mit denen sich die Traditionsgeschichte der Anschauungen erhellen lassen, hat der Autor die Äußerungen über Luther in zwei Schriften Wittenberger Theologen selbständig herangezogen und ausgewertet: Aus Deutschmanns Dissertatio theologica de Luthero angelo illo apocalyptico erhebt der Autor die Anschauungen über Luther als drittem Elia und endzeitlichem Engel; aus Quenstedts Theologia didactico polemica werden die Bemerkungen zur rechtmäßigen vocatio Luthers herangezogen. Bevor sich der Autor in dem umfangreichen Kap. III mit der Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie beschäftigt, stellt er die „lebensgeschichtliche Wandlung Arnolds“ dar, d.h. seine durch die literarische und persönliche Begegnung mit Spener angeregt Hinwendung zum Pietismus und seine Kontakte zur spiritualistischen Separatistenszene in Quedlinburg. Bei der Betrachtung des Lutherbildes in Arnolds Unparteiischer Kirchen- und Ketzerhistorie kann der Autor zwar auf den Vorarbeiten jener Forscher aufbauen, die sich überhaupt mit Arnolds Lutherbild beschäftigt und sich dabei auf dieses Werk konzentriert haben. Als konstitutiv wird die Unterscheidung des jüngeren vom älteren Luther herausgearbeitet. Der frühe Luther wird – anders als in der Orthodoxie – als von Gott unmittelbar erleuchteter Geistträger gezeichnet, der den urchristlichen Kriterien eines wiedergeborenen Christen (sittliche Reinheit, Demut, Status eines Verfolgten etc.) entsprechen habe. Kurzum, Arnold zeichnet Luther als „erweckten Spiritualisten und Pietisten“. Die „traurige Veränderung“ seit 1522 (Luthers Streit mit Karlstadt!) habe aus Luther einen intoleranten, streitsüchtigen, unbescheidenen etc. Menschen werden lassen, dem der Wille zur sittlichen Verbesserung abhanden gekommen Grund für diesen Verfall will Arnold in der Leidenscheu und – statt dessen – der Kooperation mit der weltlichen Macht sehen. Mit dieser Kritik am älteren Luther versuchte Arnold die orthodoxe „Vergötterung“ des Reformators zu destruieren und dem Luthertum seiner Zeit das Idealbild eines spiritualistischen Luther entgegenzusetzen. Das Kap. IV skizziert die „Wandlungen“ Arnolds in den Jahren 1700/1701, d.h. die Eheschließung des bisher ehekritischen Zölibatärs sowie die Übernahme eines geistlichen Amtes durch den Separatisten, die in der Forschung oft als biographischer Bruch gedeutet wurden. Daran schließt der Autor die Betrachtung der Lutherdarstellung in einem weiteren Hauptwerk Arnolds an, dem Leben der Gläubigen, das in eben dieser Zeit der „Wandlungen“, nämlich kurz vor der Heirat und der Übernahme des Pfarramts verfasst wurde und noch 1701 erschien. In dieser spiritualistischen Hagiographie soll auch Luther nach den „Kenn-Zeichen seines inneren Grundes… in unparteyischer Aufrichtigkeit“ dargestellt werden, d.h. „unter dem Gesichtspunkt der Innerlichkeit“. Mit der Vernachlässigung der äußeren Lebensumstände tritt auch der Unterscheidung zwischen jüngerem und älterem Luther zurück; Arnold urteilt milder als in der Kirchen- und Ketzerhistorie. Unter dem Gesichtspunkt der Frömmigkeit entwirft Arnold jetzt mit pietistischer Begrifflichkeit (Zug Gottes, Unruhe des Gewissens, Bußkampf, Durchbruch etc.) das Bild Luthers als eines „mystischen Pietisten“. Kap. IV ist der „Lutherinterpretation des späten Arnold“ gewidmet, in dem sich der Autor mit dem 1703 gedruckten Supplementa, Illustrationes, Emendationes zu Verbesserung der Kirchengeschichte, der 1710 herausgekommenen Vorrede zur Kirchenpostille Luthers und der 1714 posthum erschienenen Theologia experimentalis beschäftigt und die Frage nach Kontinuität oder Diskontinuität in Arnolds Ansichten erörtert. Die Supplementa, Illustrationes, Emendationes zu Verbesserung der Kirchengeschichte stellen gewissermaßen Arnolds Abgesang auf seine frühere Beschäftigung mit der Geschichte des „äußeren“ Christentums dar. Arnold rechtfertigt sich gegenüber seinen Kritikern, dass seine Schärfe durch die „abergläubische“ Verehrung provoziert gewesen sei, betont Luthers Eigenschaften eines wahren Lehrers und verzichtet auf die Unterscheidung zwischen frühem und spätem Luther. In der 1710 erschienenen Vorrede zur Kirchenpostille Luthers wird diese explizit relativiert. Luther wird als der geistliche Bibelausleger vorgestellt, der deren „sensum mysticum oder heimlichen verstand“, deren „mysteria oder geistliche bedeutung“ entfalte. Daher ist es gleichgültig, „wenn [=wann], wie und wo“ die Wahrheit gesagt werde, „ob sie in denen ersten oder letzten büchern Lutheri zu finden sey“. Die 1714 posthum von Arnolds Witwe herausgegebenen Theologia experimentalis entfaltet Arnolds Lebensthema in Predigten aus seiner Perleberger Zeit. Dem Erfahrungsbegriff liegt als „Kernpunkt die innerliche, mystische Vereinigung mit Gott“ zugrunde. Auf Lutherzitate greift Arnold in seiner einleitenden Entfaltung des Erfahrungsbegriffs ohne zeitliche Differenzierung und ohne Berücksichtigung ihres geschichtlichen Kontexts zurück. Seine spiritualistische Selektion entspricht also dem schon zuvor geübten Verfahren. In dieser Dissertation hat der Autor die Forschung einige Schritte weitergeführt, indem er das Lutherbild der akademischen Lehrer Arnolds aufgehellt und die Lutherrezeption Arnolds anhand wichtiger Werke untersucht und dargestellt hat.
DOI:10.17192/z2011.0059