Im Zeichen von Veste & "Mohr": Städtische Symbole und Geschichtskultur am Beispiel Coburgs

Die Arbeit stellt nach einer Übersicht der Geschichte von Stadt und Festung Coburg die vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart untersuchte Symbolgeschichte der Stadt im Kontext der lokalen Erinnerungskultur dar. Zunächst wird die 1354 einsetzende Genese des bürgerlich-städtischen Wappens mit dem...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Habel, Hubertus
Beteiligte: Braun, Karl (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2009
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Arbeit stellt nach einer Übersicht der Geschichte von Stadt und Festung Coburg die vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart untersuchte Symbolgeschichte der Stadt im Kontext der lokalen Erinnerungskultur dar. Zunächst wird die 1354 einsetzende Genese des bürgerlich-städtischen Wappens mit dem Kopf des Mauritius von Agaunum untersucht, der vom ottonischen Reichsheiligen zum Patron der Stadtpfarrkirche geworden ist. Die 1934 von den Nationalsozialisten angestrengte Ersetzung durch ein NS-Wappen stellt eine auch geschichtskulturell bedeutende Zäsur dar. Die Entwicklung der Personifikationen der Stadt – vom Stadtwappen abgeleitet der „Coburger Mohr“ und das „Bratwurschtmännle“ sowie die um 1900 historistisch generierte „Coburgia“ – bildet einen zweiten Strang der Darstellung. Eine dritte, eng mit der wettinischen Dynastie des Coburger Herzogshauses verknüpfte symbolgenetische Linie markiert die um 1800 einsetzende Entwicklung der „Veste“ Coburg als zentrales Symbol der Residenzstadt bis hin zum städtischen Logo der Gegenwart. Abschließend wird die Frage nach der Funktion dieser Symbole im Kontext ihres historischen Wandels als Indikatoren differenzierter Identitäten in der Stadtgesellschaft untersucht. Das Ziel dieser Studie ist es, die visuellen Symbole Coburgs Karl Brauns Ansatz der „Dichten Beschreibung“ (C. Geertz) entsprechend als Ausdrucksformen kulturellen Handelns zu verstehen sowie den regelhaften Rahmen dieser Bedeutungsrealisierungen im Kontext des gesamten Symbolsystems einzuordnen und zu beschreiben. Dies geschieht in Anlehnung an die Teminologie von Ernst Cassirers Theorie der symbolischen Formen sowie orientiert an Victor Turners Ritual-Theorie. In der Mitte des 14. bzw. im 16. Jahrhundert setzt die Etablierung des „Mohrenkopfes“ als Wappensymbol und der Festung als ikonografisches Attribut der Residenzstadt des Herzogtums Coburg ein. Mit der Romantik beginnt als mitteleuropaweite Gegenbewegung zu Aufklärung und napoleonischer Besetzung auf lokaler Ebene die Genese der Festung als Nationalheiligtum. Verschiedene Strömungen bilden die Basis zweier Umbaukampagnen der frühneuzeitlichen Landesfestung zur spätmittelalterlich erscheinenden „Veste“ Coburg im 19. und frühen 20. Jahrhundert: Die Rückbesinnung auf Luthers Aufenthalt während des Augsburger Reichstages 1530, dessen Instrumentalisierung als Vorbild der nationalen Einigungsbewegung im Zuge des Wartburgfestes 1817, die mediävalisierend-historistisch motivierten Legitimationsbemühungen des Coburger Herzogs Ernst I. (1806-1844) sowie die burgenromantischen Ideen in der wilhelminischen Ära um 1900 Gustav Freytag, eng mit dem Coburger Herzog Ernst II. (1844-1893) in den Jahrzehnten um 1860 an der Spitze der nationalliberalen Einigungsbewegung zusammenarbeitend, mystifiziert in seinem historischen Roman „Die Ahnen“ (1872-1880) mit der „Idisburg“ die Festung als zentralen Ort der deutschen Nationalgenese von der Völkerwanderungszeit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die 1920 vollzogene Vereinigung des kleinen Freistaats Coburg mit Bayern bewirkt ab den frühen 1920er Jahren schließlich die geschichtskulturell langfristig wirksame Betonung der historischen Besonderheit Coburgs als ehemals wettinische, protestantische Residenz im katholisch geprägten Bayern. In der Folge von Hitlers und der SA erstem reichsweit beachteten Auftritt außerhalb Münchens 1922 entwickelt sich Coburg zu einem zentralen Pfeiler der „braunen Brücke“ Franken und wird 1929 zur ersten Stadt mit parlamentarischer NS-Mehrheit. Dies und die Instrumentalisierung als „Experimentierfeld der Machtergreifung“ manifestiert man 1934 nach der Abschaffung des „Mohrenkopf“-Wappens durch die Etablierung eines NS-Wappens, das die Rolle der Stadt als „Schmiede“ des SA-„Schwertes“ nach außen symbolisch repräsentieren soll. Nach innen jedoch zeigt das spätmittelalterliche Wappen aufgrund der stark ausgeprägten Verankerung im Bewusstsein der Bevölkerung eine erstaunliche Überlebensfähigkeit über das „Dritte Reich“ hinweg. Diese neue Vitalität kann im Zeichen des Kalten Krieges durchaus ambivalente Züge tragen. Dank seiner Vereinigung mit Bayern sind Stadt und Landkreis Coburg die einzigen Bereiche des ehemals wettinischen Thüringen, die nicht hinter dem „Eisernen Vorhang“ der DDR-Grenze verschwinden. So kann es geschehen, dass der „Coburger Mohr“, wie das Wappen mit dem Afrikaner-Kopf noch heute in der Bevölkerung bezeichnet wird, nun als „Urwaldneger“ diffamiert und dagegen das als „thüringischer Lutherkopf“ apostrophierte Haupt der recht europäisch erscheinenden spätmittelalterlichen Mauritius-Skulptur vor der Pfarrkirche seit 1953 zum amtlich normierten Wappenvorbild erhoben wird. Kraft seiner Reichspatrons-Funktion wird dieser „Coburger Mauritius“ nun im Interesse antikommunistisch geprägter Bestrebungen zur Wiedervereinigung als Garant der Einheit Deutschlands und der – nicht nur geografisch gemeinten – Zentralposition „Coburg[s] mitten im Reich“: instrumentalisiert: Auch diese stark gegenwartspolitisch motivierte, geschichtskulturell aufgeladene Deutungsveränderung überlebt die in der Bevölkerung verhaftete unpolitische und historisch indifferente Wappenvariante des Afrikaner-Kopfes, die in der Normierung 1959 ihre offizielle Anerkennung gefunden hat. Selbst das 1994 eingeführte und 2003 bzw. 2005 deutlich modifizierte sowie von einem „Corporate Identity“-Prozess begleitete Logo Coburgs mit stilisierten Bildern der Veste Coburg vermag den „Coburger Mohren“ nicht zu verdrängen, was auch den logostrukturellen Mängeln geschuldet ist. Der empirische Befund zur Binnen- und Außen-Identifikation Coburgs mit Veste und „Mohr“ bzw. mit den damit verknüpften Symbolsystemen bestätigt diese Entwicklung.
Umfang:335 Seiten
DOI:10.17192/z2009.0160