Die Restaurierung der ehemaligen Landsynagoge in Weimar-Roth. Pressemitteilung. Kreisausschuß des Landkreises-Marburg-Biedenkopf/Pressestelle, Nr. 36/98 vom 03.03.1998. Marburg 2000: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/2000/0002/welcome.html



Die Restaurierung der ehemaligen Landsynagoge in Weimar-Roth

Pressemitteilung. Kreisausschuß des Landkreises-Marburg-Biedenkopf/Pressestelle, Nr. 36/98 vom 03.03.1998


Nach fast achtjährigen Bauarbeiten konnte die Sicherung und Restaurierung der ehemaligen Landsynagoge in Roth abgeschlossen werden. Die Baukosten von insgesamt etwa 400.000 DM wurden im wesentlichen vom Landkreis Marburg-Biedenkopf getragen, der auch während der Bauarbeiten Eigentümer geworden ist. Das Land Hessen hat sich über das Landesamt für Denkmalpflege an den Kosten mit einer Beihilfe von etwa 125.000 DM beteiligt; die Gemeinde Weimar hat für den ersten Bauabschnitt die Bauleitung und etwa 60.000,- DM der Bau- und Erwerbskosten übernommen.

Das Gebäude war als ehemalige Synagoge kaum noch zu erkennbar umgebaut und durch Einbauten von Decken, Wänden und Geräten als historischer Raum nicht mehr erlebbar. Bei der Freilegung und der Beseitigung späterer Ein- und Umbauten wurden gefährliche konstruktive Schäden sichtbar. Der erste Bauabschnitt mußte sich somit im wesentlichen auf die Freilegung und Sicherung der historischen Bausubstanz konzentrieren. Nach der Wiederhersstellung der Standsicherheit wurden Dach und Wände neu gedeckt sowie neue Fenster und Türen eingebaut. Danach konnte in Ruhe über den weiteren Ausbau des historischen Innenraumes entschieden werden.

Eine neue Synagoge, schöner als sie früher jemals war, konnte nicht entstehen, da es eine jüdische Gemeinde in Roth nicht mehr gibt. Ein Museum des früheren jüdischen Lebens sollte ebenfalls nicht entstehen, da der Raum zu klein und für museale Zwecke technisch nicht geeignet ist. Zunächst mußte ein Kulturdenkmal so erhalten werden, wie es das Hessische Denkmalschutzgesetz vorschreibt: es "als Quelle und Zeugnis menschlicher Geschichte und Entwicklung zu erhalten und in die städtebauliche Entwicklung einzubeziehen". Dabei kommt es nicht auf künstlerische Werte und ästhetische Qualitäten an, sondern auf die Erhaltung der Zeugnisse unserer Kultur. Auch und gerade im ländlichen Bereich ist unsere Kultur und das damalige Leben durch die Juden maßgeblich geprägt worden, viel mehr als uns heute bewußt ist. Die wenigen noch verbliebenen, früher selbstverständlichen baulichen Zeugnisse jüdischen Lebens und unserer gemeinsamen Kultur müssen deshalb schon aus nüchternen denkmalpflegersichen Gründen künftigen Generationen erhalten bleiben.

Damit wird gleichzeitig auch an die Progrome und die Judenvernichtung erinnert. Aber welche baulichen und gestalterischen Mittel sind dazu geeignet, vorzuzeigen, was zu Asche, zum Nichts geworden ist?

Es ist heute nicht mehr auszuloten, welchen kulturellen Verlust wir durch die Ausrottung der Juden erlitten haben. Wie läßt sich repräsentieren, was nicht mehr sichtbar ist?

Mahnmale des Holocaust können nur vergröbern, da seine Ungeheuerlichkeit jeder Abbildung spottet. Keine Denkmalschutzbehörde, keine Kreisverwaltung kann Emotionen bürokratisieren oder Gefühle verwalten; keine Mahnmale zu schaffen kann aber bedeuten, Spuren tilgen zu wollen.

Nicht mehr oder weniger war Aufgabe des Kreisbauamtes: Spuren des früheren jüdischen Lebens zu erhalten, Zeugnisse des Hasses und der Vernichtung zu zeigen und das Erinnern zum selbstverständlichen und dauerhaften Bestandteil heutiger und künftiger Generationen werden zu lassen.

Deshalb ist im Innern der Synagoge nichts ausgebessert, nichts verschönert, nichts wiederhergestellt worden. Alle Reste baulicher Ausstattung, alle Spuren der Zerstörung sind unverändert geblieben. Alterungsprozesse wurden durch sorgfältige Restaurierung und Festigung des Innenputzes aufgehalten. Wut und Haß der Zerstörung sind durch die Axthiebe an der Eichenholzsäule der Empore noch nach 60 Jahren spürbar. Auch die zerschlagene Marmortafel der alten Elektroverteilung hängt noch über der Frauenempore. Teile der früheren Ausstattung sind als Schatten an den Wänden dort erkennbar, wo der zweite Anstrich ihren Ausbau erforderlich gemacht hätte: die alte Brüstung der Frauenempore, der Thoraschrein, ein Raumteiler zwischen den Emporensäulen.

Erkennbar sind zwei Anstriche. Der erste, wohl ursprüngliche Anstrich war türkisblau mit reicher Schablonenmalerei, später wurde darüber ein rötlicher Anstrich ("Pompeirot") mit schwarzem Dekor und zwei Inschriften gelegt. Anstriche und Putz wurden restauratorisch gefestigt und gesichert, ohne daß Ergänzungen, Verschönerungen oder Beseitigung der Altersspuren erfolgten.

Die hellblau gestrichene Leinenbespannung der Decke konnte nur noch in Bruchstücken erhalten werden. Sie ermöglichen jedoch eine Vorstellung von dem eindrucksvoll und feierlich gestalteten Innenraum. Gleichzeitig ist die Decke Zeugnis und Mahnmal der Zerstörung.

Was für die Nutzung unabdingbar war, wurde als neue Zutat erkennbar angebracht. So mußte ein neuer Eichenholzfußboden und ein neues Geländer auf der Frauenempore eingefügt werden. Es ist nicht belegbar, wie diese Bauteile früher ausgebildet waren; sie dürfen weder Geschichte ungeschehen machen noch ein prägendes architektonisches Eigenleben führen.

Wie die alten Deckenleuchter ausgebildet waren, ist heute nicht mehr festzustellen. Die Deckenleuchter in Form schlichter Holzsterne, die jetzt an der gleichen Stelle, hängen, wurden von Herrn Dr. Rexroth, dem langjährigen Vorsitzenden des Denkmalbeirates, zur Verfügung gestellt. Sie wurden auf dem Dachboden der Kirche in Amönau gefunden und sollen aus der Synagoge in Wetter oder Niederasphe stammen. Ihre Schlichtheit und ihre Geschichte ließ eine Wiederverwendung in der ehemaligen Synagoge Roth angemessen erscheinen.

Der Innenraum der Synagoge handelt nicht von Objekten, sein Inhalt ist permanente Abwesenheit. Er handelt von dem, was nicht gezeigt werden kann, weil es zu Nichts geworden ist. Es sollte deshalb nicht zum Museum degradiert werden, sondern als selbstverständlicher, fest integrierter Bestandteil ländlichen kulturellen Lebens der Erinnerung, der Mahnung und des Gedenkens dienen.

Denn Erinnern kann man nicht erfinden. Es muß in das Leben integriert werden.