Gerhard Iben: Die Errichtung des Instituts für Sonderschulpädagogik der Philipps-Universität Marburg an der Lahn im Jahre 1963. Marburg: 1999: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0018.html - U.d.T. "Errichtung des Instituts für Sonderschulpädagogik der Philipps-Universität Marburg an der Lahn" zuerst in: Pädagogische Rundschau. Monatsschrift für Erziehung und Unterricht. Ratingen bei Düsseldorf, Jg. 18 (1964), S. 215f.



Gerhard Iben

Die Errichtung des Instituts für Sonderschulpädagogik der Philipps-Universität Marburg an der Lahn im Jahre 1963


Am 4. Dezember 1963 wurden in einer Feierstunde die bisherigen "Lehrgänge zur Ausbildung von Sonderschullehrern" als "Institut für Sonderschulpädagogik" der Marburger Universität eingegliedert. Marburg besitzt nun das einzige selbständige Universitätsinstitut für Sonderschulpädagogik in der Bundesrepublik. Es untersteht einer Senatskommission aus Professoren der Fakultäten und ist so in doppelter Weise integriert. Denn bereits die Lehrgänge pflegten enge Beziehungen zu mehreren Disziplinen, da die angehenden Sonderschullehrer für lernbehinderte, sprachgestörte, sehschwache, schwererziehbare und praktisch-bildbare Kinder einen wichtigen Teil ihres Studiums in der Psychologie, in der Allgemeinen und Sozialpädagogik, in der Jugendpsychiatrie, Sprach- und Augenheilkunde und im Jugendrecht absolvierten.

Der Rektor der Universität, Professor. D. Niebergall, schilderte in seiner Eröffnungsrede die jahrelangen Vorarbeiten bis zur Institutserrichtung und würdigte in dieser Hinsicht die Bemühungen des Institutsdirektors, Professor Dr. Dr. von Bracken.

1954 begann in Marburg der erste einjährige Lehrgang, nachdem zuvor in Frankfurt a. M. Wochenendkurse für Hilfsschullehrer durchgeführt worden waren. 1955 wurde das Studium auf vier Semester ausgedehnt und Professor von Bracken die Leitung übertragen. Die 1956 unmittelbar am Lehrgangsgebäude errichtete Gastklasse für geistig schwerer geschädigte, also nur praktisch-bildbare Kinder, betonte den ständigen Bezug der Theorie zur Praxis. Bis heute studierten und studieren dort 208 Lehrer Lernbehinderten-, 53 Sprachbehinderten- und 3 Sehbehindertenpädagogik, also insgesamt 264. Die Studierenden sollen möglichst schon in der Sonderschule gearbeitet haben. Sie werden für zwei Jahre mit vollem Gehalt und einer zusätzlichen Studienbeihilfe aus dem Schuldienst beurlaubt. Für die Aufnahme gelten die Immatrikulationsbedingungen der Marburger Universität.

Neben dem Lehrauftrag wurde der Forschungscharakter dieses neuen Instituts von Kultusminister Professor Schütte durch die Stiftung des "Max-Kirmsse-Preises" hervorgehoben. Dieser Preis soll jährlich in Höhe von 1.000 DM der besten Examensarbeit zuerkannt werden. Er soll gleichzeitig an Max Kirmsse (1877-1946), einen hessischen Pionier des Sonderschulwesens, erinnern. Professor von Bracken unterstrich in seinem Festvortrag über "Heilpädagogische Forschung" diesen zweiten Auftrag seines Instituts, aus dem bereits gründliche Untersuchungen über eine Reihe heilpädagogischer Probleme hervorgegangen sind.

Ein dreitägiger Vortragszyklus umrahmte die Institutserrichtung. So sprachen: F.G. Lennhoff (England) über "Vorüberlegungen zum programmierten Lernen in der Sonderschule"; Direktor G. Lesemann (Hannover) über den "Methodenwandel in der Sonderschulpädagogik"; Rektor J. Wulff (Hamburg) über den "Wandel in der pädagogischen Sprach- und Stimmbehandlung" und Professor Dr. P. Moor (Zürich) über "Willensschwäche und Gemütsverarmung als Grundbegriffe einer Psychologie und Pädagogik des entwicklungsgehemmten Kindes". Professor Dr. Dr. h.c. A. Busemann (Marburg), der Nestor der deutschen Heilpädagogik, mußte seine Mitwirkung aus gesundheitlichen Gründen absagen. Besondere Akzentuierung verdient H. Wegeners Vortrag, der die engen Entsprechungen zwischen den Skinnerschen Lernprogrammen und den hilfsschuleigenen Methoden nachwies. P. Moor repetierte in seiner öffentlichen Vorlesung die Grundzüge seiner "Heilpädagogischen Psychologie" (Bern, Bd. I, 1951).