Karl Heinrich Rexroth: Zur Geschichte der beiden Davidstern-Leuchter in der wiederhergestellten Synagoge von Roth. Marburg 1999: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0011.html



Zur Geschichte der beiden Davidstern-Leuchter in der wiederhergestellten Synagoge von Roth (Gemeinde Weimar, Landkreis Marburg-Biedenkopf)

Von Karl Heinrich Rexroth


Im Frühjahr 1970 hatte ich erfahren, daß die Kirche in Amönau (Kreis Marburg-Biedenkopf) restauriert würde. Bei dieser Gelegenheit sollte auch das Werk der Turmuhr ausgemustert werden. Da ich in dieser Zeit gerade mit der Rettung der alten Kirche in Altenvers (ebenfalls Kreis Marburg-Biedenkopf), die abgebrochen werden sollte, beschäftigt war, fuhr ich nach Amönau. Meine Überlegung war, daß dieses Uhrwerk vielleicht in den Dachreiter der Kirche in Altenvers eingebaut und so die alte Kirche aufgewertet werden könnte. In Amönau fand ich das Werk am Rande der Straße stehen. Ich sprach im Pfarrhaus mit Herrn Pfarrer Junghans, der mir bestätigte, daß dieses schöne handgeschmiedete Eisengestell verschrottet werden sollte. Leider war dieses Gestell für den Dachreiter in Altenvers zu groß, und so mußte ich das Gestell dem Schrotthändler überlassen, der es am folgenden Tag abholte.

Beim Gespräch mit Pfarrer Junghans hatte ich im Flur des Pfarrhauses die beiden aus Holz gefertigten Leuchter in der Form des Davidsternes bemerkt. Pfarrer Junghans bestätigte mir, daß die beiden auf dem Fußboden liegenden Leuchter ebenfalls aus der Kirche stammten und auch ausgemustert worden waren. Ich erbat mir daraufhin die Leuchter. Pfarrer Junghans legte meine Bitte dem Kirchenvorstand vor, und nach einer Woche konnte ich die Leuchter abholen. Mir war von Anfang an die jüdisch-sakrale Bedeutung der beiden Davidstern-Leuchter bewußt, und ich wollte sie deshalb vor der Zerstörung bewahren. Ich hatte zuerst daran gedacht, sie auch in Altenvers weiter zu verwenden. Dagegen sprach aber der betont jüdische Charakter dieser Leuchter, der Symbolwert des Davidsternes.

Seit der Einrichtung des Denkmalbeirats für den Landkreis Marburg-Biedenkopf im Jahre 1975 war ich Mitglied dieses Gremiums, später auch dessen Vorsitzender. Ich war daher mit dem Zustand der ehemaligen Landsynagogen in unserem Landkreis vertraut. Wie die anderen Mitglieder des Beirats und die jeweils zuständigen Dezernenten war ich der Überzeugung, daß diese letzten Zeugnisse des jüdischen Lebens im Landkreis erhalten werden müßten. In einer dieser noch vorhandenen Synagogen sollten nach der Renovierug die Davidstern-Leuchter ihren Platz finden. Zunächst dachte ich an die Synagoge in Wohra, mit deren Erhaltung der Beirat unter meinem Vorsitz zunächst befaßt war. Da wir diesen Bau nach einer intensiven Diskussion aber für die Versetzung nach Gießen frei gegeben hatten [*], kam die Synagoge in Roth (Gemeinde Weimar) in Betracht, die als nächster Bau renoviert werden sollte. Ich sprach mit dem zuständigen Denkmalpfleger, Hern Dr. Neumann, mit dem Lt. Baudirektor Herrn Seehausen, dem mit der Wiederherstellung beauftragten Architekten, Herrn Metzker, sowie mit der Oberkustodin der Denkmalpflege, Frau Thiersch, und fand bei allen volle Zustimmung. So konnten die beiden Davidstern-Leuchter im März 1998 bei der Eröffnungsfeier ihre Funktion erfüllen. Wie bei dieser Gelegenheit festgestellt werdenkonnte, passen die Leuchter ideal zu dem Farbton der Holzdecke der Synagoge.

Die Aufhängung dieser beiden Davidstern-Leuchter hat natürlich dazu geführt, daß nach ihrer Herkunft gefragt wurde. Ich hatte schon früher Gespräche mit Frau Junghans in Kassel geführt und auch Herrn Pfarrer Janker in Amönau um Auskunft gebeten. Nach deren Auskünften sind die Leuchter nach dem Kriegsende 1945 von einem Werkmeister aus dem Siegerland geschaffen worden, der dort als Leiter einer Möbelfabrik tätig war. Dieser künstlerisch begabte Meister hatte persönliche Beziehungen zu Amönau; er hat für Amönauer Familien öfter Möbel entworfen bzw. herstellen lassen. Wie und von wem der Auftrag zur Herstellung der Leuchter formuliert war, ließ sich leider nicht mehr ermitteln. Sicher ist, daß die Form des Davidsternes kein Zufall war, sie muß als Hinweis auf den jüdischen Ursprung des Christentums verstanden werden. Insofern waren die Davidstern-Leuchter auch als eine Art sinnbildlicher Wiedergutmachung gedacht. Indem man den Davidstern in Form der Leuchter in die Kirche hereinnahm, bekannte man sich ganz bewußt zur jüdischen Tradition. Man wertete so das Zeichen der Verachtung, das der Davidstern im Dritten Reich gewesen war, zu einem Symbol des Lichtes, der 'Erleuchtung' im wörtlichsten Sinne auf. Die Tatsache, daß die beiden Leuchter im Jahre 1970 wieder entfernt wurden, obwohl sie noch voll funktionsfähig waren, läßt sich nun auch erklären: man hatte inzwischen an der Hereinnahme der jüdischen Tradition, ihrer 'Vereinnahmung' in den christlichen Sakralraum Anstoß genommen. Der Davidstern war ja an sich als Zeichen des jüdischen Bekenntnisses so eindeutig definiert, wie das Kreuz als Sinnbild des christlichen Glaubens oder der Halbmond als Zeichen des Islam. Man war 1970 in Amönau offensichtlich der Meinung, daß die Davidstern-Leuchter in einem christlichen Sakralraum nicht am Platze wären. Es wäre aber sicher falsch, diese Meinung womöglich als antisemitisch zu betrachten. Sie besagt vielmehr, daß man den Symbolwert des Davidsternes erkannte und anerkannte. Man wollte lediglich die Einvernahme des jüdischen Symbols in einen christlichen Sakralraum rückgängig machen.

Umso wichtiger ist es für mich, daß diese beiden Leuchter (1998) in der Synagoge von Roth den ihnen angemessenen Platz gefunden haben. Es ist für mich eine große Genugtuung, daß die Leuchter dort nicht nur ihren praktischen Zweck erfüllen, sondern auch als Glaubenszeichen verstanden werden. Für den inzwischen verstorbenen Pfarrer Junghans in Kassel war es ebenfalls eine Genugtuung, die er kurz vor seinem Tode noch erlebte, daß die Bewahrung der beiden Leuchter und ihre Aufbewahrung nach 28 Jahren jetzt nun endlich zu ihrer sinnvollen Verwendung geführt hat.

Über diese jeweils sehr persönliche Genugtuung hinaus kann der Geschichte der beiden Leuchter, wie sie hier skizziert wurde, vielleicht noch ein tieferer und allgemeinerer Sinn unterlegt werden. Wenn sie in der Form des Davidsternes als Zeichen der jüdischen Tradition angefertigt wurden, nach über zwei Jahrzehnten vor der Vernichtung bewahrt und nach weiteren drei Jahrzehnten endlich ihrem Sinn entsprechend verwendet wurden, dann ist dies zunächst ein Beweis für die Lebenskraft dieses Symbols. Daß die Davidstern-Leuchter zunächst in einer Kirche hingen und jetzt in einer wiederhergestellten Synagoge ihren Zweck erfüllen, kann aber auch als Sinnbild der Versöhnung gedeutet werden. Das ist der Sinn dieser Niederschrift.

Marburg-Elnhausen im Mai 1999.



* Vgl. dazu: ALTARAS, Thea: Das jüdische Rituelle Tauchbad; und: Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945?, Teil II, Königstein 1994, S. 91-95 und S. 105-107.