Michael Neumann: Das Denkmal und sein Mißverständnis.
Vortrag anläßlich der Vergabe des Ubbelohde-Preises im Jahre 1994. Marburg 1999:
http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0004.html - In leicht vom Vortragstext abweichender Fassung und mit Abb. versehen zuvor abgedr. in: Landkreis Marburg-Biedenkopf. Jahrbuch 1995. Hrsg. vom Kreisausschuß des Landkreises Marburg-Biedenkopf.Marburg 1994, S. 173-184.
Michael Neumann
Das Denkmal und sein Mißverständnis
Vortrag anläßlich der Vergabe des Ubbelohde-Preises im Jahre 1994
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Landkreis Marburg-Biedenkopf gehört zweifelsohne zu den schönsten und beeindruckendsten Landschaften, die wir in Hessen, nicht nur nördlich der Mainlinie, besitzen.
Diese angenehme Behauptung habe ich zunächt - kaum war sie formuliert - wieder streichen
wollen.
Nicht, daß mir der Inhalt dieses Satzes plötzlich als unglaubliche Übertreibung -
als anmaßende Überinterpretation erschienen wäre - nein, weil ich diese an sich
unstrittige Feststellung für die folgenden Gedanken über das Denkmal und seine
Mißverständnisse zunächst als deplaziert erachtet habe.
Wie Sie bemerkt haben, hat sich dieser einfach gefügte Satz über meine teutonischen
Grübeleien hinweggesetzt, zumal er in seiner klaren und unmißverständlichen
Art nicht nur vorbereitend zum Ausdruck bringen sollte, daß sich dieser Landschaftsraum
mit all seinen Schönheiten seit Anbeginn seiner Kultivierung quasi auf seinen Künstler
Otto Ubbelohde vorbereitet hat.
Gleichermaßen sollte dieser einleitende Satz einer Darstellung vorangestellt sein, deren Inhalt
zu erkennen geben sollte, daß auch die Denkmalbehörde - sei es im Rahmen wissenschaftlicher Bewertungen, sei es im Bemühen um den technischen und finanziellen Erhalt
des Denkmales - ohne den Begriff Schönheit nicht auskommen.
Warum also diesbezüglich Vorbehalte oder wissenschaftliche Ängste entwickeln?
Läßt sich doch mit dem Argument der Unversehrtheit, der schönen Ansicht, der
Einzigartigkeit, der Harmonie und Ausgewogenheit der Komposition leichter überzeugen als
mit anderen wissenschaftlichen Kriterien oder weniger erbaulichen Erscheinungsformen, die mit
Vergänglichkeit, Zerstörung und Narben - kurzum mit geschichtlichen Ereignissen - in
einen Zusammenhang gebracht werden, die mitunter sogar schlechte Erinnerungen aufkommen
lassen.
Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, daß es sich weitaus leichter und angenehmer
arbeiten läßt, wenn das dörfliche, das städtebauliche und das
landschaftliche Umfeld sich so weitgehend ungestört darbietet wie in diesem
Landschaftsraum zwischen Lahn und Eder, Wohra und Ohm. Eine Landschaft mit herausragenden
Kulturdenkmalen, eine Landschaft angefüllt mit schützenswerten Ensembles, die nach
dem Hessischen Denkmalschutzgesetz als Gesamtanlagen gemäß § 2 Abs. 2 zu
erhalten und zu schützen sind, bauliche Gruppierungen in bäuerlich-ländlichen
Situationen, wie sie manchem von uns bereits durch die Grimm'schen Märchen über
Ubbelohdes Feder als jene schöne und geheimnisvolle Märchenwelt in Erinnerung
gebracht worden sind, bevor man dieser Landschaft leibhaftig gegenüberstand.
So zumindest ist es mir ergangen, als ich vor 15 Jahren, vielleicht ein wenig von Sehnsüchten geplagt, nach Hessen zurückgekehrt bin und die Marburger der Wiesbadener
Planstelle vorgezogen habe.
Ubbelohdes Flußlandschaften - Burgen und Hofansichten, aus Senken und Mulden herausragende Kirchtürme, auf Basaltkegeln schweigende Ruinen vor dunklen Waldkulissen
oder glühenden Ziegeldachlandschaften - all diese Erscheinungsformen waren mir
längst bekannt, bevor ich über die Ränder des Lahntales in die ländlichen
Regionen hineingefahren bin.
Sie sehen, daß Ubbelohde nicht nur indirekt etwas mit Denkmalpflege, sondern direkt etwas
mit erhaltenswerten Dingen zu tun hat, wenn er uns allen mit seinen treffenden Illustrationen das
Urbild des Dorfes vermittelt und in jene Märchen eingeflochten hat, die uns schon vor
langer, langer Zeit eingegeben wurden und somit durch seine Sehweise unsere Vorstellungen und
Maßstäbe vom ländlichen Raum geprägt hat.
Für mich jedenfalls war der erste Ausflug und der erste Fernblick von der Ruine Frauenberg
auf den satten Ebsdorfer Grund hinüber zur Amöneburg über die vielen, in
Mulden kauernden Dörfer ein Déjà-vu-Erlebnis, wie man es nur selten
erfährt. In einem solchen Augenblick spätestens weiß man, warum man
Denkmalpfleger geworden ist, und man weiß auch, daß man eine historische Stadt wie
Schweinsberg oder Rauschenberg nicht nur ihres schönen Panoramas wegen, sondern auch
wegen ihrer ablesbaren historischen Wachstumsgesetze im Spannungsfeld zwischen Rathaus,
Kirche und Feudalsitz als Zeugen der Geschichte zu erhalten hat - so wie es das Gesetz
fordert.
Sie haben vielleicht schon bemerkt, daß wir Denkmalpfleger unser Handeln nicht gern allein
aus der Ecke der ästhetischen Betrachtung heraus verstanden sehen wollen, d. h. über
den äußeren Augenschein über das, was man allgemein
unmißverständlich mit dem Begriff von Schönheit in Verbindung bringt. Liegt
doch hierin mitunter eine gewisse Fehleinschätzung unseres Tuns und unserer Ziele. Man
kann sich dagegen wehren, soviel man will, man kann schreiben, lehren, diskutieren, predigen,
streiten oder Vorträge halten; der Denkmalpfleger ist und bleibt fälschlicherweise
derjenige, der allein für das Schöne, für die Hülle, für den Anstrich,
für die äußere Gestalt, fürs sogenannte Outfit zuständig ist. Und
weil dem so nicht ist bzw. weil dies nicht die Hauptaufgabe der Denkmalpflege ist, muß
zunächst darauf hingewiesen werden, daß der gesetzliche Auftrag, den wir zu
erfüllen bestrebt sind, nun schon vor 18 Jahren formuliert worden ist und nichts anderes
besagt, als daß es unsere Aufgabe ist, die Kulturdenkmäler als Quellen und Zeugnisse
menschlicher Geschichte und menschlicher Entwicklung zu schützen und zu erhalten und
daß sich der Denkmalwert nicht nur auf künstlerische Werte beschränkt,
sondern sich auch auf wissenschaftlichen, historischen, technischen und städtebaulichen
Werten begründet.
Da steht nichts von Schönheitspflege oder von Fassadendesign - der Anstrich der Gefache
und Balken ist doch letztendlich nur noch der freundliche Abschluß einer vorangegangenen
erhaltenden Sanierungsmaßnahme, die dem Gebäude zum Überleben, zum Weiterbestehen verhelfen soll.
Die Probleme, von denen ich u. a. reden möchte, sind zunächst sicherlich
gesamtgesellschaftlicher Art und seit 1990 verstärkt nationaler Art und haben
zwischenzeitlich ihren Einfluß auf fast alle Bereiche unseres Alltages gefunden: Gemeint ist
hier der verlorengegangene Sinn erstens für das Elementare und zweitens für unsere
Geschichte.
Es liegt mir fern, diesbezüglich soziologische Zusammenhänge zu ergründen,
ich möchte jedoch durch die Brille des Denkmalpflegers ein paar nachdenkliche Anmerkungen vortragen, die ich mir im Laufe meiner praktischen Tätigkeit hier in Hessen an den Rand
geschrieben habe.
Auf die Fehlleistungen im handwerklichen Bereich - insbesondere bei Sanierungen von
ehrwürdigen Fachwerkbauten - möchte ich hier nicht vertiefend eingehen, obwohl sich
hier schon eine Neigung abzeichnet, die sich meines Erachtens zu einer nationalen Epidemie
ausgewachsen hat und den fast schon aggressiven Drang verspüren läßt, die
Würde des Alters nicht akzeptieren zu wollen bzw. diese mit grotesken
Schönheitoperationen in den Zustand ewiger Jugend - möglichst pflegeleicht und abwaschbar - versetzen zu wollen.
Was bei den sogenannten Fachwerksanierungen sorglos von Handwerkern und in gutem Glauben
des Laien im Vorfeld des allabendlichen Fernsehprogrammes aus den Tuben und Kartuschen
gedrückt wird und als Schönheitspasten aus Eimern quillt oder aus Hülsen als
Spachtelmassen, dauerelastischen Teigen tropffrei, leicht haftbar als Kunststoff, als Acryl, als
Silikon, als PU-Schaum oder Latex wie aus Konditortüten verspritzt, verkleistert,
verspachtelt und jede Narbe und Altersfalte kaschierend überschmiert wird, ist nichts
anderes als die Beschleunigung des Erstickungstodes jener Objekte, die sich just die von
Sehnsucht getriebenen Ansiedler am Ortsrand zum Vorbild für ihre Neubauten genommen
haben.
Sie alle - sei es der werbegeschädigte Heimwerker, sei es der nostalgische Häuslebauer - sie alle sind von den reaktionsfähigen Baumärkten, von den
einschlägigen Bausparerzeitungen und jenen Nostalgie-Produzenten, die ein Stück
Heimat im oder am Rande unserer Ubbelohde-Dörfer anbieten, auf den Holzweg gebracht
worden. Sie haben uns schon längst rechts überholt, ohne gemerkt zu haben,
daß sie das Original, das historische Vorbild, den Keim ihrer Sehnsüchte bereits im
Begriff sind umzufahren - plattzumachen - wie man so sagt.
Der abhandengekommene Sinn für das Elementare - der Verlust des traditionellen und
handwerksgerechten Umganges mit dem Denkmal einerseits und der Verlust der rücksichtsvollen Neubaugebärde andererseits - hat sich besonders nachteilig auf unsere
ländlich geprägten Ortsbilder ausgewirkt.
Es zeigt sich zwar, daß die Zeiten der aggressiven Denkmalzerstörung ausgeklungen
sind, nunmehr jedoch durch eine Ära der Verniedlichung, der Tümmelei, der
Verdrängung und Kaschierung in oft einfältigster oder kindischster Art abgelöst
worden sind. Man kann nur hoffen, daß diese Zeiten ihren Zenit bereits erreicht haben, zumal
eine harmonische Einbindung in Dorf-, Stadt- und Naturlandschaft, die gerade hier im Land noch
so oft zu erkennen ist, ob der ehrgeizigen, ja haltlosen Bauherrenwünsche und deren
schamloser Verwirklichung mittels zurecht gestutzter Burgen à la Neuschwanstein oder
dem Ganghofer-Stil mit oberdeutschem Galerieaufbau und Costa Brava-Bogen, mit oder ohne
Erkertürmchen, mit Wintergarten und Veranda im Alternativlook, in Erfüllung
geht.
Irgendwann einmal wird man sich der ganz normalen unprätentiösen Häuser der
20er, 30er und 50er Jahre in der Tradition des deutschen Werkbundes oder des Bauhauses mit
oder ohne geneigtem Dach - dem ganz normalen Haus - schmerzlich erinnern und wird dann
vielleicht zum harmlosen Einfamilienhaus mit nichts anderem, als mit Liebe zum Detail
zurückfinden. Ich denke, daß hierzu ein gewisser Lernprozeß über die
Überzeugungskraft jener Architektengilde in Bewegung gebracht werden muß, der
dem Lauten und Maßlosen Verachtung schenkt und den Blick auf die Qualität der
Stille und des Maßvollen zu lenken befähigt ist.
Denn die Abkehr vom geistlosen Komfort könnte wieder den Weg zu einer neuen Tradition,
einer verlorengegangenen Baukultur im ländlichen Bauwesen bringen - zum Schutz des
harmonischen Siedlungsbildes im Landschaftsraum.
Zu allem Unglück hat sich das lautlose Sterben unserer geliebten Ubbelohde-Welten durch
das laute Wachsen der Neubaugebiete an seinen Randzonen unübersehbar gesteigert. Die
vertraut gewordene Lebensparzelle - die man auch als Heimat bezeichnet - ist durch das kollektive
Unglück des bäuerlichen Niederganges bedroht.
Kirchen, Bürgerhäuser, Rathäuser und das bäuerliche Wohnhaus unserer
Hofreiten werden sich zwar erhalten lassen; doch über 50 % der Dörfer -
nämlich die Stall- und Scheunengebäude mit ihren monumentalen Ziegeldächern
- werden nur noch eine gewisse Zeit als ungenutzte Objekte unseren Blick erfreuen können
und werden insofern nicht sinnvoll einer neuen Nutzung unterzogen werden können, als
erste der Stahlbirne zum Opfer fallen.
Das Ergebnis wird dem Erscheinungsbild eines von Zahnausfall heimgesuchten Gebisses gleichen.
Die Dorfrandzonen werden wie Laufmaschen aufreißen und dem Wucherungsprozeß
des benachbarten Neubaugebietes Angriffspunkte bieten. Dem Dorf mit seinen schützenden
Scheunen, den Haus- und Bauerngärten und dem Obstbaumgürtel als Übergang
zur freien Feldflur wird das Ende bereitet sein; es sei denn, man wird dieser von mir aufgezeigten
Apokalypse nicht nur in agrarpolitischer, sondern auch in baupolitischer Hinsicht entgegentreten
und die Bewohnbarmachung landwirtschaftlicher Wirtschaftsgebäude im großen
Maßstab fördern wollen. Nicht daß man die Ausweisung von Neubaugebieten
erschweren sollte - nein, aber die Lust am Altbau durch verstärkte Förderung und
Beratung wäre ein Weg, brachliegendes, bereits erschlossenes Bauland zu nutzen und den
Versiedlungsprozeß an den schönsten Stellen unserer Dörfer in eine
kontrollierbare Form zu bringen.
So wie das Bewußtsein, der Blick für die regionaltypischen Erscheinungsformen der
betreffenden Hauslandschaften getrübt worden ist und durch folkloristische Fehlgriffe aus
bajuwarischen und friesischen Gegenden überdeckt wird, so ist auch das Verhältnis
zur Geschichte unseres Landes völlig durcheinander geraten.
Der Wiederaufbau, die Nachbildung vergangener Baudokumente, die in harten Kämpfen
gegen die Denkmalpflege erst vor zwei Jahrzehnten abgerissen worden sind - diese auf Wunsch
der sogenannten Öffentlichkeit oder durch Gewalt hervorgerufenen Zerstörungen -
sollen nun wieder wie Phönix aus der Asche unversehrt und vielleicht sogar noch
schöner wieder auferstehen. Man nennt das Geschichte à la Carte.
Die Diskussion um den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche oder des Berliner Schlosses,
das nun schon seit fast einem Jahr als Guggy-Schloß unsere Nation in pro und contra teilt,
sowie die hiermit einhergehende Auseinandersetzung zwischen den Kunsthistorikern und
Konservatoren verwirren die Bevölkerung und bringen den Begriff vom Denkmal, der von
den modernen Urvätern der Denkmalpflege so eindeutig geprägt worden ist,
völlig durcheinander und fördern die von mir zur Sprache gebrachten Mißverständnisse. Dieses Phänomen ist zunächst wohl noch auf die Kulturen
unserer Großstädte beschränkt, macht sich dennoch auch schon im
ländlichen Bereich in der Lust am Wiederaufbau verschwundener Burgen und alter Stadttore
immer wieder bemerkbar.
Seit der Jahrhundertwende, beflügelt durch den sehr modernen Slogan des Kunsthistorikers
Georg Dehio "Konservieren und nicht restaurieren" als Kampfansage gegen die interpretierende
Rekonstruktions-, Nachbildungs- und Vollendungssucht des 19. Jahrhunderts, hatte es sich die
deutsche Denkmalpflege zum allgemein gültigen Ziel gemacht, das Denkmal nicht aus dem
Geschichtsprozeß herauszunehmen, sondern als ablesbaren Bestandteil des geschichtlichen
Veränderungsablaufes zu belassen und erhaltend zu begleiten. Ich möchte hierzu ein
Zitat von Georg Dehio aus dem Jahre 1901 im Rahmen der Wiederaufbaudiskussion zum
Heidelberger Schloß anführen. Ich zitiere:
"Der Venus von Milo ihre Arme wiederzugeben oder Leonardos Abendmahl mit einer frischen
Farbendecke zu überziehen, gilt für eine heute unmöglich gewordene Barbarei.
Nur gewisse Architekten glauben, dergleichen noch täglich verüben zu dürfen.
Was berechtigt uns denn, soviel Zeit, Arbeit und Geld dem Schaffen der Gegenwart zu entziehen,
um sie den Werken der Vergangenheit zuzuwenden? Doch hoffentlich nicht das Verlangen, sie
einem bequemeren Genuß mundgerechter zu machen? Nein, das Recht dazu gibt uns allein
die Ehrfurcht vor der Vergangenheit. Zu solcher Ehrfurcht gehört auch, daß wir uns in
unsere Verluste schicken. Den Raub der Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das
Gegenteil von historischer Pietät."
Mit diesem Anspruch auf historische Einmaligkeit wurde - und das nimmt man uns nicht ab, aber
es ist so - dem Denkmal auch das Recht zugestanden, sich zu verändern oder im
Erinnerungsfeld weiter zu bestehen.
Die gegenwärtige Lust an publikumswirksamen Nachbildungen und geschönten
Kopien untergegangener Baudenkmäler wird jedoch irrtümlich von der breiten
Öffentlichkeit mit der wissenschaftlich fundierten Rekonstruktion verwechselt, die uns dann
noch als denkmalpflegerische Großleistung wie ein Kuckucksei untergeschoben wird. Dieser
Drang nach Geschichtsmanipulation hat sicherlich seinen Ursprung in der flächendeckenden
Zerstörung unserer Städte im 2. Weltkrieg.
Wie weit diese Nachbildungen dem ehemaligen Erscheinungsbild ihrer Vorgängerbauten
auch gerecht werden mögen, so stellen sie doch eigentlich für den Denkmalpfleger
letztendlich nur Neubauten dar, die eine von vielen Architekturauffassungen der 80er und 90er
Jahre charakterisieren und sicherlich auch symbolisch sind für die politisch öffentliche
Absage an moderne, zeitgenössische Architektur. Dies mag darin begründet sein,
daß wir Angst vor dem Neuen haben, blinde Verliebtheiten in alte Postkartenwelten pflegen,
die gestützt werden durch kommunalpolitische, sicherlich auch bürgerfreundliche
Rückbesinnungsparolen. Das technische Know-how zur Rückversetzung eines
denkmalwürdigen Objektes in den sogenannten Originalzustand hat man allemal. Dadurch
entsteht leider der fatale Eindruck, daß Denkmale wiederholbar und stets verfügbar
sind bzw. nach Belieben in der Stadt wie Kommoden in der guten Stube herumgeschoben werden
können.
Der Konservator indes wird die Gilde der Fälscher an ihren Schönungs- und
Rückformungsgelüsten nicht hindern können, zumal sich diese Aktionen im
Sinne der Rückbesinnung auf die höheren Werte der Geschichte fast immer
publikumswirksam verkaufen lassen. Ich denke hier insbesondere an die altstadtgerechten
Wiederaufbauhysterien, die in Frankfurt, in Hildesheim, in Mainz oder Hannover aus dem Nichts
Geschichtsattrappen entstehen ließen, die 45 Jahre später als Abbild ihrer total
zerstörten Vorbilder auf Tiefgaragen oder über vorhandene Denkmale der 50er Jahre
gestülpt wurden.
Der Pflichtverteidiger des Denkmales - der Konservator -, dessen staatlicher Auftrag allein die
Erhaltung des historischen Originals ist, wird letztlich nur mit Nachdruck auf den Akt der
Geschichtsfälschung aufmerksam machen können und sich mit der gebotenen
Bestimmtheit distanzieren müssen, um bei gerechtfertigten Rekonstruktionsunternehmungen
noch ernstgenommen zu werden. Er wird sie mit Rat und Tat begleiten, wenn ein Großteil
des Originals, ausreichende Dokumente und Bestandszeichnungen und der historisch-moralische
Hintergrund eine Rekonstruktion rechtfertigen. Ich denke hier z. B. an die Frankfurter oder
Dresdener Oper, an das Schloß von Würzburg oder Dresden.
Es soll jedoch in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, daß zur
Identifikation mit der Geschichte eines Landes nicht nur die Reparatur und die Erhaltung des
klassischen Denkmales allein gehört, sondern auch die Sichtbarmachung oder
Sichtbarlassung seiner Narben als integraler Bestandteil seiner Geschichte, zumal allein die
Auseindersetzung mit dem Gestern und dem Heute ein Keim für eigenständige Kreativität, ein Beginn für das Neue sein kann, denn "wer vor der Vergangenheit die
Augen verschließt, wird auch blind für die Gegenwart sein".