Wilhelm Blume

Ich klage an! [Aufruf an die Scharfenberger Schülerschaft im Frühjahr 1932]

Quelle: Privatsammlung Bernd Stückler
Veröffentlichung: Marburg 1999: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0001/q50.html - Zuvor in: Jahnke, Heinz K., Scharfenberg unter dem Hakenkreuz. Die Geschichte der Schulfarm Scharfenberg zwischen 1933 und 1945, Berlin 1997, S. 185.
Literatur: Haubfleisch, Dietmar: Schulfarm Insel Scharfenberg. Mikroanalyse der reformpädagogischen Unterrichts- und Erziehungsrealität einer demokratischen Versuchsschule im Berlin der Weimarer Republik (=Studien zur Bildungsreform, 39), Frankfurt [u.a.] 2001, bes. S. 760.



Ich klage an!

Wir haben keinen Ausschuß, deshalb finde ich drei von der Stadt bezahlte Matratzen des Neubaus verregnet im Grase!

Wir haben keinen Ausschuß, deshalb nimmt die Budenbolzerei im Neubau zu; ein Schwarzer fehlt wegen Schlüsselbeinbruchs, den er sich dabei zugezogen, ein anderer Schwarzer hat sich dabei den Daumen verstaucht, so daß er vom Geigenunterricht dispensiert werden mußte!

Wir haben keinen Ausschuß, deshalb scheint niemand da zu sein, der in kameradschaftlicher Beeinflussung das Wiedergutmachungsprinzip zur Durchführung bringt. Im Neubau sind mehrere Fensterscheiben entzwei. Zwei im Arbeitsraum der Schwarzen, eine in einem Parterrezimmer, (auch eine im Holzhaus); falls sie bis Anfang der Pfingstferien nicht repariert sind und quittiert Rechnung abgegeben wird, lasse ich einen Glasermeister kommen, der sie in Ordnung bringt.

Wir haben keinen Ausschuß, deshalb hat es einreißen können, daß man in verschiedenen Zimmern des Neubaus an halben Tagen (nicht an einem Spielabend), weil man sonst nichts anzufangen weiß, Karten kloppt; es geht nicht an, daß ich in Tegel gegen das Kartenspielen und ähnliche philiströse Zeitausfüllungsmittel am Wandertag einschreite und im eigenen Haus die gleichen Stilwidrigkeiten unwidersprochen bleiben. Auf dergleichen tiefen Niveau steht das Überhandnehmen der Schlager, während man Bestrebungen, unser altes schönes Singen wieder zu beleben, äußerst kühl aufnimmt.

Weil sich so lange keine 2/3 Mehrheit gefunden hat, Kameraden in den Ausschuß zu wählen, die den Willen und die Möglichkeit haben, Gesinnungslumperei entgegen zu treten, weil dieselben Miesmacher jeden Ansatz wahren Führertums bei ihren Kameraden durch kritisierendes und herabziehendes Gerede ersticken, ist unsere Selbstverwaltung so heruntergekommen, genau so wie in der Öffentlichkeit Führer wie Ebert und Stresemann in ihrer Wirksamkeit aus den eigenen Reihen durch nörgelnde und neidische Besserwisser gehemmt worden sind, so daß auch da die Demokratie als gescheitert angesehen wird.

Ich rufe alle Andersgesinnten auf, diesem Unwesen in 12. Stunde sich entgegenzustemmen. Man glaubt ja nicht, wie groß die Macht des Guten in der Welt ist, wenn sie sich aufrafft und nicht den Negativen das Reich läßt!

Blume.


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