Wilhelm Blume

Begründung zu dem Antrag, das Direktorat der Humboldtschule in Personalunion mit der Leitung der Schulfarm Insel Scharfenberg zu verbinden (1932)

Quelle: Berlin, Landesarchiv, Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg
Veröffentlichung: Marburg 1999: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1999/0001/q40.html - Zuvor in: Wilhelm Blume zum 100. Geburtstag (=Neue Scharfenberg-Hefte, 6), Berlin 1984, S. 17-25.
Literatur: Haubfleisch, Dietmar: Schulfarm Insel Scharfenberg. Mikroanalyse der reformpädagogischen Unterrichts- und Erziehungsrealität einer demokratischen Versuchsschule im Berlin der Weimarer Republik (=Studien zur Bildungsreform, 39), Frankfurt [u.a.] 2001, bes. S. 732-737.


Begründung zu dem Antrag, das Direktorat der Humboldtschule in Personalunion mit der Leitung der Schulfarm Insel Scharfenberg zu verbinden.

Die Schulfarm Insel Scharfenberg besteht Ostern 1932 z e h n Jahre. Ein Jahrzehnt Versuchsschule verlangt, die Erfahrungen für die Allgemeinheit auszuwerten.

Es soll dies einmal in einem gedruckten Rechenschaftsbericht geschehen, der die bisherigen mehr erzählenden und schildernden Veröffentlichungen (Schulfarm Insel Scharfenberg in Hilker, deutsche Schulversuche, 1924 [Anm. 1], Aus dem Leben auf der Schulfarm Insel Scharfenberg im Verlag des Werdenden Zeitalters 1928 [Anm. 2] und Die Schulfarm Insel Scharfenberg als Not- und Hilfsgründung in Nydahl, Das Berliner Schulwesen [Anm. 3]) nach der methodischen und schulpolitischen Seite ergänzen und abrunden wird; viel wichtiger aber wäre es, wenn sich der Schulversuch selbst auf einer breiteren Basis praktisch auswirken könnte.

Die Schulfarm ist in der Presse und der pädagogischen Literatur, vor allem auch des Auslandes (vergl. Ferriere in mehreren Heften der Nouvelle Ere über "einen der pädagogisch wertvollsten Vorposten, den Deutschland besitzt" [Anm. 4]) sehr verwöhnt worden; der eine Refrain, der immer wieder aus den verschiedenen Stimmen heraustönt, ist Eugenie Schwarzwalds oft zitiertes Bonmot: "Gott sei Dank, dass wir arm geworden sind! Als wir reich noch waren ist uns ein so gescheites Schulexperiment nicht eingefallen" [Anm. 5]. Die Kühnheit, in den schwersten Inflationszeiten einen so exponierten Versuch ohne jegliche Mittel zu beginnen, der bestechende Reiz der Umgebung dieser anfänglichen Robinsonade und dazu vielleicht auch das Stück ernsthafter Arbeit, die allem programmatischen Radikalismus abhold eigene pädagogische Wege ging und, ohne das gute Alte über Bord zu werfen, der neuen etwas verblasen klingenden Forderung: Schule gleich Leben - in einem kleinen Beispiel unproblematisch gesunde Realität gab, das mögen die Gründe dafür sein, dass das skeptische Kopfschütteln, dem wir in den ersten Jahren begegneten, sogar in den zunächst verständnislos abwehrenden Kollegenkreisen aufgehört hat. Im Philologenblatt, das schon die Darstellung der Schulfarmgrundsätze im Buch über das Berliner Schulwesen, "eine Perle neuzeitlicher pädagogischer Literatur" bezeichnet hatte [Anm. 6], wurde neulich einem Zweifler an der Durchführung schulreformerischer Arbeit entgegengehalten, ob er bereits in Scharfenberg gewesen wäre.

Freilich vernimmt man auch den zweiten Refrain namentlich in den mündlichen Aeusserungen der Kollegien und pädagogischen Reisenden, die dem Unterricht beigewohnt haben, was hier draussen auf der Insel

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im kleinen Kreise gemacht werden könne, daran sei in der Stadt und im Großbetrieb garnicht zu denken.Schließlich derselbe zögernde Grundton, der aus des früheren Oberbürgermeisters Böss Worten sprach, die bei Gelegenheit der Geldbewilligung für einen Neubau fielen: "Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß wir nur Ihnen privatim eine Schule bauen!"

Seit cirka zwei Jahren trägt sich der Unterzeichnete mit Plänen, den Radius größer zu ziehen, dafür Sorge zu tragen, daß Scharfenberg keine Episode bleibt, wie es das Schicksal eines früheren ähnlichen Versuches in Berlin des Cauerschen Institutes gewesen ist, das von Fichte, Jahn und Zelter betrut wurde. Er hat sämtliche Stabilas in Preußen bereits, sie nach eigenem Augenschein mit den weit mehr unterrichtlich aufgelockerten österreichischen Bundeserziehungsanstalten verglichen und daran gedacht, den Antrag zu stellen, den Staatlichen Bildungsanstalten (abgesehen von Lichterfelde) durch Umwandlung in Schulfarmen ein eigeneres Gesicht zu geben, wie sie es früher als Kadettenanstalten wenn auch in ganz anderer Färbung gehabt hatten: für die kaiserlichen Prinzen ist in Plön auf der heute verpachteten Prinzenfarm die Verbindung von Schule und Farmbetrieb seinerzeit verwirklicht gewesen. Der Untezeichnete hat ferner überlegt, den Schulfarmgedanken mit dem der Siedlungen zu vereinigen, d.h. die Schule zum geistigen Mittelpunkt einer Siedlungsgemeinschaft zu machen, wie sie etwa auf den aufgeteilten Rentengütern angesetzt werden; er steht mit dem Provinzialschulkollegium in Königsberg in Konnex, ob nicht eine Domäne oder ein größeres Gut dort sich dazu eigne, zu einem Centralpunkt neuer pädagogischer Bestrebungen ausgebaut zu werden - auch ein Beitrag zur wahrung der dort bedrohlich isolierten deutschen Kultur. Der Zufall, daß infolge der letzten preußischen Notverordnung [Anm. 7] der hochverdiente Direktor der Tegeler Humboldtschule in den Ruhestand treten muß, läßt die vielleicht lockendere, zum mindesten organischer sich anschließende Möglichkeit auftauchen, jene vielfach gewünschte und von uns selbst gesuchte Ausweitung zu realisieren, ohne die Mutterzelle im Stich lasen zu müssen, ohne auch die Verbindung mit der Stadt Berlin, die ein Jahrzehnt hindurch den Versuch finanziell gestützt hat, zu verlieren. Diese Kombination reizt umsomehr, weil ja Scharfenberg zum Unterschied von den Landerziehungsheimen Lietzscher Prägung von jeher und in den letzten Jahren noch betonter den Hauptakzent auf das Unterrichtliche gelegt hat; so schön in jenen Heimen das heimleben in persönlich günstig liegenden Fällen ausgestaltet ist, in unterrichtlicher Beziehung kann die Stadtschule von ihnen nichts mehr lernen. Wohl aber glaube ich, daß unsere unter lokal glücklichen verhältnissen gemachten zehnjährigen Unterrichtserfahrungen auf die Stadtschule übertragen einen förderlichen, schneller mitreißenden, vertiefend wirkenden Zustrom darstellen könnten zu der sowieso seit der allgemeinen preußischen Schulreform in erfreulicher Gärung befindlichen Unterrichtspraxis der öffentlichen Schule.

Es kommt weniger darauf an, durch die beabsichtigte Union noch nicht einmal ganz stichhaltigen Einwänden von fiskalischer Seite einen Riegel vorzuschieben, eine solche Sonderschule sei für Berlin in sotanen Zeiten ein Luxus, als vielmehr darauf, dass sich die Verbindung zwangsläufig aus inneren Gründen als ein schöner Lösungsversuch bestehender Komplikationen aufdrängt.

Wie das gemeint ist, wird am besten an einem konkreten Beispiel gezeigt, das hier statt vieler dienen muss. Es besteht in Scharfenberg etwa die Einrichtung der Neigungs- und Begabungskurse auf der Oberstufe, bis jetzt noch immer der beste Weg, die unvermeidliche Schulverdrossenheit gerade der begabteren Schüler in den letzte Jahren hintan-zu-halten; ein pädagogisches Problem, das neuerdings wieder theoretisch von allen Seiten beleuchtet wird, wovon ein Blick in die letzten Hefte der von Litt und Spranger herausgegebenen Zeitschrift Die Erziehung überzeugt. Da legt Konrad Zeller einen neuen Grundriss der Reform der höheren Schulen vor, der auf der Unterscheidung "obligatorischer Stammfächer" von "obligatorischen Zweigfächern" und "wahlfreien Zweigfächer" basiert [Anm. 8]. Da wird der Littsche Vorschlag, die Gabelung der Oberstufe nicht in Richtungsunterschieden, sondern in Gradabstufungen der Begabung zu suchen, verhandelt und die "Gabelung nach Stoffen für durchaus zweckmässig" bezeichnet. Dieses Problem spielt entscheidend hinein in den Fragenkomplex, der durch die aufsehenerregenden Behauptungen der Hochschullehrer, das Niveau der Abiturientenbildung sei gesunken, aufgewühlt worden ist. Die Scharfenberger Kurse (Antiker, Neusprachlicher, Deutschkundlicher und zwei Naturwissenschaftliche) sind im Gegensatz zum Grunewaldgymnasium, das einst in Berlin diese Einrichtung, wenn auch in nicht so fester, zügiger Form inauguriert hat, gerade in den letzten Jahren mehr und mehr in die centrale Stellung gerückt und haben ihre Arbeitsmethode so entfaltet, dass sie von dem inspizierenden Dezernenten des Provinzialschulkollegium als gesteigerter Arbeitsunterricht charakterisiert und ihr Stand als über das schulmässige beträchtlich hinausgehende anerkannt worden ist. Eine interne Deutschkursausstellung, die für Eltern und Interessenten unter dem Thema Fahrten und Forschungen des Deutschkurses dessen Arbeitsergebnisse vorzuführen versuchte, soll am Schluss diese Schuljahres für Fachleute wiederholt werden. Was in diesem Jahrzehnt auf diesem Gebiete im kleinen Kreise ausprobiert ist und nur in ihm ausprobiert werden konnte, muss jetzt, um seine Existenzberechtigung zu erweisen, eine grössere

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Schülerzahl erfassen; es ist der Moment gekommen, dass es für uns Lehrer keinen grösseren Reiz mehr hat, diese Art, die eine starke Intensität erfordert, für so wenige Schüler (augenblicklich verteilen sich 35 Oberstüfler auf 5 Kurse) fortzusetzen. Die Vereinigung mit Tegel wird mit der Zeit, nicht etwa sofort, in aller Stille, zunächst versuchsweise die Möglichkeit ergeben, unter den dortigen Oberstuflern diejenigen Schüler, die Lust und Fähigkeit dafür haben, an unseren Kursen teilnehmen zu lassen; diese würden, - so denke ich es mir -, in Scharfenberg, das überhaupt das pädagogische Laboratorium bleibt, abgehalten werden; die Tegeler können an den beiden Kurstagen, - ist doch auch jetzt die Kursbeschäftigung auf zweimal 6 Vormittagsstunden konzentriert -, auf die Insel kommen, gewiss für sie nebenbei eine erwünschte Abwechslung im Einerlei des Schullebens. Umgekehrt wäre dann auch bei uns nicht jeder Schüler gezwungen, sich einem Kurs anzuschliessen, was bis jetzt notgedrungen der Fall gewesen ist; denn einerseits gibt es immer Schüler, die gar keinen Drang nach einer solchen Spezialisierung schon auf der Schule empfinden, sondern den normalen Gang mit gleichschwebenden Forderungen bevorzugen; andererseits können wir in Scharfenberg natürlich neben den 5 Kursen die üblichen Schultypen daneben laufen lassen; dieses System bekommt erst bei grösserer Schülerzahl alle Entfaltungsmöglich-

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keiten, die in ihm liegen; das alles ist durchführbar bei kombinatorischer Verwendung beider Lehrerkollegien, ohne extra Kosten zu verursachen. Wenn es sich bewähren sollte, können auch Nachbarschulen zur Beteiligung aufgefordert werden und so Oberstufensammelkurse in jedem Bezirk sich entwickeln. Dann würde die eine Schule die "Naturwissenschaftler", die andere die "Kulturkundler", die dritte die "Sprachler" vereinigen; dazu geeignete Lehrer würden in ihnen Tätigkeiten ausüben können, die mindestens für sie so befriedigend sein könnte wie die Uebung für die Universitätslehrer in den ersten Semestern; für die Schüler würde auf diese Weise der oft beklagte schroffe Uebergang von der gebundenen Schularbeit zu der freien in der Hochschule gemildert. Doch es soll hier noch kein weit im Felde liegendes Zukunftsbild gezeichnet werden; war es doch auch bisher nicht unsere Art, alles Mögliche theoretisch hinzumalen, sondern die Dinge sich aus den Verhältnissen und den beteiligten Personen heraus organisch erwachsen zu lassen. Es verdient noch darauf hingewiesen zu werden, dass in der Neuköllner Karl-Marx-Schule unter Ueberschneidung der Schultypen "Berufsklassen" im Entstehen begriffen sind, offenbar eine Parallelerscheinung zu unseren nunmehr zehn Jahre laufenden Neigungskursen, wenn auch aus einer anderen Ideologie heraus begründet.


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Ein Hauptcharakteristikum der Scharfenberger Zwischenstufe ist der Gesamtunterricht, d.h. die zeitweise Beseitigung der Fächerschranken (abgesehen von Mathematik und Sprachen) zu Gunsten eines Gesamtthemas, die Ersetzung der Einzelhefte durch Kollektivmappen, der labile Wechsel zwischen Gruppenmosaikarbeit und Berichstunden der Gruppen an die Gesamtheit und Sammelstunden zur wiederholenden Verarbeitung in lockenden Repititionsformen wie Preisausschreiben, Vorführungen, Hörspiele etc., oder zur gemeinsamen Ankurbelung neuer Teilthemata. In der Litt-Sprangerschen Zeitschrift Die Erziehung (1931, S. 27f. und 161f.) wird mit Recht der Scharfenberger Gesamtunterricht deutlich geschieden von dem von Berthold Otto oder in Saarbrücken auf die Bahn gebrachten Art [Anm. 9]. Abschliessend heisst es dort: "Was sich an Schulfarmen bewährt, kann in öffentlichen Schulen vielleicht zu Misserfolgen führen. Es ist aber recht interessant, was Studienrat Dr. Muth über den Gesamtunterricht an der Aufbauschule in Bensheim auf der Weimarer Tagung 1928 berichtete [Anm. 10]. Danach scheint es doch auch auf solchen Schulen zu gehen, und es wäre sehr zu wünschen, dass weitere derartige Versuche an öffentlichen Schulen angestellt wurden" [Anm. 11]. Es kribbelt uns in den Fingern, nicht mit einem Schlag, sondern aus sich ergebenden zufälligen Gegebenheiten heraus mit dieser oder jener Schulklasse den Versuch zu machen, dann in Elternver-

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sammlungen die Erfahrungen austauschen zu lassen, zweifelnden Mitgliedern des Kollegiums in Scharfenberg die neue Art zu zeigen, bei der sich, wie einer unserer Referendare in einer Seminararbeit über den Gesamtunterricht ausgeführt hat, sowohl das Kerschensteinersche "Vollendungserlebnis", wie auch die Littsche Forderung engster Verbindung von Schule und Leben automatisch einstellt. Wieder einmal in weite Sicht gestellt, handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit eines Richtliniengrundsatzes zu erweisen; danach soll aufgeräumt werden mit dem leidigen Schubkastensystem, die Fächer sollen konzentriert werden, aber die Eigengesetzlichkeit derselben gewahrt bleiben, ein Nachsatz, hinter den sich alle nicht mit Ueberzeugung mitmachenden Lehrer verschanzen können. Ich bin überzeugt, dass unser Gesamtunterrichtsprinzip dem geforderten Ziele mehr dienen wird als die oft gequälten Ueberlegungen der Kollegien, die "Querverbindungen" auszutifteln.

Bei uns hat sich die Mitwirkung der uns überwiesenen Referendare in diesem Gesamtunterricht als Fachgruppenleiter (alle Fakultäten können dabei berücksichtigt werden) für beide Teile äusserst förderlich erwiesen. Es wird damit ein dritter Gesichtspunkt berührt, der unter vielen anderen die beantragte Unierung fruchtbar erscheinen lässt. Dem Unterzeichneten ist es in drei Jahren, in denen

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das Provinzialschulkollegium Referendare zur Ausbildung nach hier überwiesen hat, klar geworden, dass hier fast die wichtigste Aufgabe einer Versuchsschule liegt. Hier haben die jungen Kollegen, die meist schul- und lebensfremd als hochgezüchtete Wissenschaftler sich einstellen, Gelegenheit, die Schüler ohne die übliche Schulmaske zu sehen und mit der so entscheidenden engen Verbindung von Schule und praktischer Arbeit aus eigenem Erleben sich auseinanderzusetzen. Aber nach unseren Erfahrungen ist die Zahl der Referendare bei der Kleinheit der Schule auf drei oder vier zu beschränken; das ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Zusammenlegung mit der Tegeler Schule gibt da ganz andere Wirkungsmöglichkeiten; eine viel grössere Anzahl von Referendaren könnte in der dortigen Schularbeit eingesetzt werden und sie gleichzeitig in periodischem Wechsel mit den Vorteilen, mit Schülern wirklich einmal zusammenzuleben, verbunden bleiben. Soll ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass in der Provinz Schleswig-Holstein die Referendarausbildung einen solchen Aufenthalt jetzt vorschreibt, soll ich daran erinnern, dass die schwierige Frage der Heranbildung des Nachwuchses auch in der Provinz Brandenburg, zumal in Berlin noch keine endgültige Lösung gefunden hat? Gehen doch Gerüchte um, dass die im Vorjahr eingerichteten Bezirksseminare wieder aufgehoben werden sollen. Der Augenblick, die kommende Lehrerschaft der höheren Schulen mit

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einem opferwilligen, jugendnäheren Geiste zu erfüllen, ist günstiger als je, da die Notzeiten die Auslese der wirklich Berufenen erleichtert. Wenn der Schwerpunkt Scharfenbergs sich etwas nach dieser Seite verschöbe, wäre es eine Ausweitung, die erneut dazu beitragen würde, der Oeffentlichkeit zu zeigen, dass derartige Unternehmungen, wenn man sie in den Anfangsstadien stützt, später für die Allgemeinheit fruchtbar zu werden vermögen. Auch diese Massnahme würde zunächst weiter keine organisatorischen Aenderungen fordern, als die, dass der grösseren Schülerzahl entsprechend mehr Referendare überwiesen werden müssten.

Wenn auch noch etwas aus den mehr lokalen Gründen herausgehoben werden soll, muss darauf hingewiesen werden, dass die Humboldtschule in ihren naturwissenschaftlichen Werten noch längst nicht pädagogisch ausgenutzt worden ist. Häufig habe ich die Nachbarschulen eingeladen, ihre Biologiestunden zeitweise in diesen natürlichen botanischen Garten, der die meisten Vegetationsformen, die bezeichnensten ökologischen Gemeinschaften ohne künstliche Anlagen von Schulgärten sozusagen wildwachsend darbietet, für alle Klassenstufen zu verlegen; bis jetzt ohne Erfolg! Wenn die Verbindung mit Tegel und Umgegend eine amtlich beglaubigte wird, könnten sich hier eine Fülle von schönen Aufgaben einstellen. Die Insel ist gross genug, um solche Besuche unter

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der nötigen Leitung zu vertragen. Auch hier würde der allgemeine pädagogische Grundsatz: Weg vom Buch, hin zur lebendigen Natur - zur Geltung kommen. Wir Scharfenberger müssen ohne weiteres zugeben, dass das Naturwissenschaftliche von ihnen noch nicht die Pflege erfahren hat, zu deren Vertiefung sie der genius loci verpflichtet. Gewiss sind einzelne Jahresarbeiten aus diesem Bereiche entstanden; eine Vermessung der Insel, eine Bestandsaufnahme der seltenen Bäume und Sträucher, die Feststellung von 56 Vogelarten wären zu nennen; aber richtig aufblühen könnte naturgemäss dieses Forschen erst, wenn eine beträchtlich grössere Zahl dazu hingeleitet wird. Es ist anzunehmen, dass aus diesen und anderen Anlässen eine Umschichtung der Schüler stattfindet; Jungen die aus Tegel und Umgegend Lust haben, sozusagen dazu prädestiniert sind, könnten sich durch Uebersiedlung dem Gemeinschaftsleben anschliessen, andere, bei denen es sich erst bei längerem Verweilen herausstellt, dass das Inseldasein für sie keine innere Notwendigkeit ist, vermöchten ohne Schulwechsel in der grösseren Anstalt unterzutauchen.

Falls der Versuch, die Scharfenberger Unterrichts- und Erziehungsgrundsätze mutatis mutandis auf eine grosse städtische Schulgemeinschaft zu übertragen, gemacht werden soll, ist jetzt die einzig mögliche Gelegenheit. Denn eine benachbarte Schule muss es aus äusseren Zeitgründen sein, wenn was unbedingt notwendig wäre, der direkte Zusammenhang mit der

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Keimzelle bewahrt bleiben soll. Finanzielle Mittel sind dazu nicht von nöten; man könnte sogar meinen, es würde ein Oberstudiendirektorengehalt sich einsparen lassen; das ist freilich nicht der Fall; denn das Doppeldirektorat müsste von allzu viel technischer Verwaltungsarbeit freigehalten werden, was wohl am besten dadurch geschähe, wenn noch ein Oberstudienrat eingesetzt würde. Ausserdem wird sich die einmalige Beschaffung eines Motorbootes zur Beförderung von Lehrern, Schülern, ganzen Klassen nicht vermeiden lassen.

Auessere Hinderungsgründe bestehen also wohl nicht. Der Tegeler Bezirk, der vielleicht zögern könnte, weil er der Meinung ist, dass die Leitung beider Schulen die Kraft eines Mannes überstiege, kann sich versichert halten, dass die in diesem Jahrzehnt in unmittelbarer Nachbarschaft bewiesene Arbeitskraft, die jahrelang von heute nicht mehr bestehenden Kämpfen absorbiert wurde, durch diese Neuordnung einen neuen Anreiz empfangen wird. Das Risiko ist zudem nicht gross; sollten sich die Erwartungen nicht erfüllen, hätte die Trennung weiter nichts zur Folge, als dass der bisherige Zustand wieder hergestellt würde. Das der heutige Stand der Humboldtschule nicht herabgemindert würde, dafür - glaube ich, sagen zu können, - bürgt meine allem parteimässigen Radikalismus abgeneigte schulpolitische Haltung, bei der es nur einen Leitstern gibt:

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die pädagogische, nicht die politische oder sonst irgend eine Wertung! Gewiss - die anfänglichen Beziehungen zum Bezirk Tegel-Reinickendorf waren nicht sonderlich intim; man wollte den Eindringling nicht auf die Insel lassen. Aber diese Zeiten liegen weit zurück und sind durch die Tatsachen überholt. Es haben sich mancherlei Beziehungen hüben und drüben geknüpft: Unsere Schüler haben jahrelang den Physiksaal der Humboldtschule benutzt, der an ihr angestellte Studienrat Rothe hat eine Weile den naturwissenschaftlichen Unterricht auf Scharfenberg gegeben, Herr Studienrat Stein vom Tegeler Oberlyzeum ist erst im letzten Oktober, durch eine Notverordnung gezwungen, ausgeschieden. Des öfteren war in jedem Jahre Herr Direktor Schreiber auf der Insel, und umgekehrt besuchte ich ihn in seinem Amtszimmer, damit wir in verständnisvoller Freundschaft unsere gegenseitigen Erfahrungen austauschten. Herr Stadtrat Henke, der langjährige Chef des Tegeler Schulwesens, gehört unter der grossen Zahl unserer Gäste zu den wenigen, die das, was wir eigentlich wollen, zutiefst erfasst haben; ich weiss mich noch wohl zu erinnern, wie er bei seinem ersten Besuch vor neun Jahren mich mit seinem Redaktionskollegen aus Bremen verglich, der die Trennung von seinem Jungen, zu der man den bisherigen Volksschullehrer gezwungen hatte, nicht zu überleben vermochte.

Anmerkungen

Anm 1
BLUME, Wilhelm, Die Schulfarm auf der städtischen Insel Scharfenberg bei Berlin, in: Deutsche Schulversuche, hrsg. von Franz HILKER, Berlin 1924, S. 312-330.

Anm 2
Aus dem Leben der Schulfarm Insel Scharfenberg. Bilder, Dokumente, Selbstzeugnisse von Eltern, Lehrern, Schülern, redigiert von Wilhelm BLUME, in: Das Werdende Zeitalter. Eine Monatsschrift für Erneuerung der Erziehung, Jg. 7 (1928), S. 329-404; Auszug (S. 339-348 oben) wieder abgedr. in: 60 Jahre Schulfarm Insel Scharfenberg 1922-1982. Jubiläums-Festschrift anläßlich des 60-jährigen Bestehens der Schulfarm Insel Scharfenberg (=Sonderheft der Fähre), Berlin 1982, S. 19-28.

Anm 3
BLUME, Wilhelm, Die Schulfarm Insel Scharfenberg, in: Das Berliner Schulwesen, hrsg. von Jens NYDAHL. Bearbeitet unter Mitwirkung Berliner Schulmänner von Erwin KALISCHER, Berlin 1928, S. 135-186 und S. 568f.; kurzer Auszug wieder in: Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die bündische Zeit, hrsg. von Werner KINDT (=Dokumentation der Jugendbewegung, 3), Düsseldorf [u.a.] 1974, S. 1462-1466.

Anm 4
S. z.B.: L'Ecole-Ferme de l'ile de Scharfenberg près de Berlin. Résumé d'une étude du Recteur Blume, in: Pour L'Ere Nouvelle. Revue Internationale D'Education Nouvelle, red. Adolphe Ferrière, Jg. 10 (1931), S. 11-14 und S. 40-43.

Anm 5
SCHWARZWALD, Eugenie, Orplid an der Havel. In der Inselschule Scharfenberg, in: Neue Badische Landes-Zeitung vom 22.06.1928, Morgenausgabe; Auszug wieder in: Die Fähre. Zeitung der Schulfarm Insel Scharfenberg, Berlin, [Ausgabe:] Juni 1959, o.S.

Anm 6
GILLE, Hans, [Rezension von] Das Berliner Schulwesen [, hrsg. von Jens Nydahl. Bearbeitet unter Mitwirkung Berliner Schulmänner von Erwin KALISCHER, Berlin 1928], in: Deutsches Philologen-Blatt, Jg. 37 (1929), S. 247-249, hier S. 248: "Als wahre Perlen neuzeitlicher pädagogischer Darstellung sind z.B. die Berichte der Leiter der Schulfarm Insel Scharfenberg und der Charlottenburger Gemeindewaldschule zu bezeichnen"; Hinweis "auf die Bedeutung des Gesamtunterrichtes [...], der [...] auch die höhere Schule (vgl. Insel Scharfenberg und Neuköllner Kaiser-Friedrich-Realgymnasium) Eingang gefunden hat [...]."

Anm 7
Verordnung zur Abänderung der Sparverordnung vom 12. September 1931 (Gesetzsammlung, S. 179). Vom 4. November 1931, in: Preußische Gesetzsammlung, 1931, [Nr. 43 vom 05.11.], S. 227f.; wieder in: Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen, Jg. 73 (1931), S. 301f.

Anm 8
ZELLER, Konrad, Grundriß einer Reform der höheren Schulen, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur und Erziehung in Wissenschaft und Leben, Jg. 7 (1932), S. 223-231.

Anm 9
HAACKE, Ulrich, Zusammenarbeit von Deutsch, Geschichte und Staatsbürgerkunde, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur und Erziehung in Wissenschaft und Leben, Jg. 6 (1931), S. 27-40 und 161-177.

Anm 10
S. dazu: VOGT, Walther, Zur Berthold Otto-Tagung in Weimar 1928, in: Deutsches Philologen-Blatt, Jg. 36 (1928), S. 454f.

Anm 11
Das Zitat lautet korrekt: HAACKE, Zusammenarbeit, S. 40: "Was sich in Landerziehungsheimen und Schulfarmen bewährt, kann in öffentlichen Schulen vielleicht zu Mißerfolgen führen. Es ist aber recht interessant, was Studienrat Dr. Muth über den Gesamtunterricht an der Aufbauschule in Bensheim auf der Weimarer Berthold-Otto-Tagung Pfingsten 1928 berichtete. Danach scheint es doch auch auf solchen Schulen zu gehen. Es wäre sehr zu wünschen, daß weitere derartige Versuche an öffentlichen Schulen angestellt würden."


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