Siebert, Irmgard: Möglichst gut - möglichst viel - möglichst wirtschaftlich. Retrokonversion in der UB Marburg. Marburg 1997: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1997/0017.html


Irmgard Siebert

Möglichst gut - möglichst viel - möglichst wirtschaftlich

Retrokonversion in der UB Marburg [Anm. 1]


Vorbemerkung

Die Entscheidung für ein bestimmtes Retrokonversionsverfahren wird wesentlich beeinflußt durch die jeweils vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen, die spezifische lokale Katalogsituation, die Menge der zu konvertierenden Daten, Art und Umfang der nutzbaren Fremddaten sowie die mit dem Ergebnis der Konversion verbundenen Ziele und Ansprüche.


Finanzielle Ressourcen

Als die UB Marburg in den Jahren 1992/93 das Konversionsprojekt plante, war absehbar, daß ihr für die Verwirklichung dieses Projektes finanzielle Mittel größeren Umfangs nicht zur Verfügung stehen würden. Die Möglichkeit, die Konversion bei einer Firma in Auftrag zu geben, um in relativ kurzer Zeit über das Ergebnis verfügen zu können, schied damit von vornherein aus. Folglich plante die UB das Projekt auf der Basis des Einsatzes eigenen Personals, nach Freiburger Vorbild ergänzt durch studentische Hilfskräfte [Anm. 2]. Die Finanzierung von ca. fünf Hilfskraftstellen (= ca. 80 Std./Monat) sicherte die Universitätsleitung zu. Fünf weitere Hilfskräfte hoffte die UB durch Unterstützung seitens des Landes finanzieren zu können.


Personelle Ressourcen

Die UB stellte vorerst das für die Schulung, Einarbeitung und Betreuung der Hilfskräfte sowie die Gesamtleitung des Projektes notwendige Fachpersonal im Umfang von ca. 1,5 Stellen zur Verfügung. Zum Zeitpunkt der Planung war jedoch schon absehbar, daß nach Einführung der EDV-Katalogisierung in den dezentralen Bibliotheken in den Jahren 1995/96 die seit 1987 übliche online-Nacherfassung der nur konventionell erstellten Titelaufnahmen durch UB-Personal entfallen und die freiwerdende Kapazität für das Retrokonprojekt genutzt werden könnte.

Darüber hinaus profitiert das Vorhaben in personeller Hinsicht von einer negativen Entwicklung, der seit Jahren anhaltenden Kürzung des Erwerbungsetats: In dem Maße, wie die Mittel für die Erwerbung monographischer Novitäten zurückgingen, wurden auch Mitarbeiter aus den Buchbearbeitungs-Dienststellen jeweils vorübergehend mit Konversionsaufgaben befaßt. Zunächst wurden nur Mitarbeiter aus der Titelaufnahme hierfür eingesetzt. Seit Einführung der Bestellkatalogisierung und des integrierten Geschäftsganges im Frühjahr 1997 können auch Mitarbeiter der Akzession Retrokonversionstätigkeiten ausüben.

Diese, durch die Einführung der EDV-Katalogisierung in den dezentralen Bibliotheken sowie durch interne Veränderung der Arbeitsorganisation und Flexibilisierung des Personaleinsatzes im Prinzip gewonnenen Personalressourcen wurden jedoch zum großen Teil durch Stellenkürzungen und Stellensperren wieder aufgehoben.

Von den 10 Hilfskraftstellen, mit denen kalkuliert wurde, wurden uns im Durchschnitt pro Jahr nur 3,3 Stellen bewilligt, und zwar von seiten der Universität. Das Land hat sich an der Finanzierung des Projektes bisher leider nicht beteiligt.


Katalogsituation

Bei dem zu konvertierenden Katalog handelt es sich um den alphabetischen Katalog, der die Bestände der UB und der ca. 100 dezentralen Bibliotheken umfaßt, weshalb er auch als Zentraler Alphabetischer Katalog (ZAK) bezeichnet wird. Dieser Katalog ist nach den Preußischen Instruktionen erstellt. Getrennt in zwei Alphabete, enthält er die Bestände vor 1930 und die Bestände 1930 bis 1986. Die Buchstabensegmente A-Bg sind für den gesamten Zeitraum zusammengeführt. Seit 1987 werden alle Erwerbungen direkt elektronisch erfaßt. Der Katalog existiert nur als Benutzerkatalog, es gibt keinen Dienstkatalog.

Die bei der Konversion zu erfassenden Lokaldaten sind auf den Katalogkarten nicht komplett aufgeführt. Bei UB-Bestand fehlen die Buchnummern, die mit Hilfe vorhandener Verzeichnisse (online-Signatur-Buchnummern-Konkordanz des Ausleihsystems, Mikrofiche-Konkordanz) ermittelt werden müssen. Bei Titeln, die sich im Präsenzbestand befinden, fehlt darüber hinaus die Standortsignatur. Auf den aktuellen Standort wird lediglich durch Bleistiftvermerke ("LS", "KAT") verwiesen. Die dazu gehörigen Signaturen müssen vor Beginn der Konversion an dem entsprechenden Standortkatalog ermittelt und nachgetragen werden.

Der dezentrale Besitz ist entweder durch eigene Aufnahmen oder - bei gleichzeitigem UB-Besitz - durch Stempel oder handschriftliche Eintragungen nachgewiesen. Signaturen sind nicht verzeichnet. Da eine Ermittlung der Signaturen zu aufwendig wäre, müssen diese in einem zweiten Schritt durch die Bibliothekare der dezentralen Bibliotheken nacherfaßt werden.

Weitere fehlende Daten, wie z.B. BIK (Bibliothekskennzeichen), lokale Schlüssel und Ausleihcode werden während der DV-Erfassung ergänzt.

Da die UB Marburg im Jahre 1969 ihren alten Sachkatalog abgebrochen und erst 1990 die Sacherschließung in verbaler Form nach RSWK wieder eingeführt hat, liegen für die zu konvertierenden Titel keine Sacherschließungsdaten vor. Eine retrospektive Sacherschließung erfolgt nicht. Sie wurde für zu aufwendig befunden und hätte den Retrokonversionsgeschäftsgang (s.u.) zusätzlich belastet.


Planung, Ziel, Umfang und Laufzeit des Projektes

Der naheliegende Gedanke, den Zentralen Alphabetischen Katalog als Ganzen bzw. den Bestand 1930ff. zu konvertieren, hätte unter den gegebenen finanziellen und personellen Rahmenbedingungen eine zu lange und letztlich nicht zuverlässig kalkulierbare Laufzeit ergeben. Es mußte also darüber nachgedacht werden, die Menge der zu konvertierenden Titel auf sinnvolle Weise zu reduzieren. Eine Beschränkung der Konversion auf den UB-Besitz, der nur ca. 40% des Gesamtbestandes ausmacht, stand nicht zur Diskussion, weil die bewährte Marburger Gesamtkatalogtradition nicht unterbrochen werden sollte und weil die finanzielle Unterstützung der Universität nur für die Konversion des Gesamtkataloges zu gewinnen war. Folglich blieb nur die Möglichkeit, einen zeitlichen Schnitt zu setzen. Für die seinerzeit beschlossene Begrenzung des Vorhabens auf die Zeit 1974-1986 waren folgende Motive ausschlaggebend:

  1. Sinnvollerweise sollte der rückwärtige Anschluß an die seit 1987 online erfaßten Neuerwerbungen gewährleistet sein.
  2. Die Literatur der jeweils letzten 20-30 Jahre wird erfahrungsgemäß am meisten genutzt. Nach Abschluß des Projektes sollte genau dieser ausleihintensive Bestand vollständig maschinenlesbar erfaßt und über Stichwortsuche recherchierbar zur Verfügung stehen.
  3. Man konnte davon ausgehen, daß für diesen Zeitraum in vermehrtem Umfang Fremddaten zur Verfügung stehen, da 1992 Daten der Deutschen Bibliothek aus den Jahren 1974ff. in die damalige HEBIS-Verbunddatenbank eingespeist worden waren.
  4. Die bei dem gewählten Zeitraum anfallende Titelmenge beläuft sich schätzungsweise auf 650.000 (800.000 Exemplare). Die daraus bereits resultierende Laufzeit von ca. 10 Jahren - den Einsatz von 10 Hilfskräften vorausgesetzt - sollte auf keinen Fall überschritten werden.

Unter arbeitsorganisatorischen Gesichtspunkten wäre es einfacher gewesen, Teilbestände der UB zu konvertieren, für die Sonder- oder Standortkataloge existieren. Auf diese Möglichkeit wurde zunächst bewußt verzichtet, weil der Aktualität und damit Ausleihrelevanz der zu konvertierenden Literatur sowie der Optimierung der Marburger Gesamtkatalog-Tradition höhere Priorität eingeräumt wurde.

Unter den spezifischen Marburger Bedingungen besteht der entscheidende Vorzug dieser Projektplanung darin, daß sie - mit entsprechenden positiven oder negativen Konsequenzen für die angenommene Dauer - sich ändernden Rahmenbedingungen angepaßt werden kann. In dem Planungskonzept wurde auch festgehalten, daß während der Laufzeit eintretende technische Verbesserungen im Hinblick auf Fremddatennutzung ebenso wie im Hinblick auf (teil)automatisierte Erfassungsverfahren, z.B. durch Scannen zu beobachten, zu prüfen und ggf. zu übernehmen seien. Anders als zu Beginn des Projektes sind Katalog-Scan-Verfahren inzwischen qualitativ besser und preisgünstiger [Anm. 3]. Deshalb wird zur Zeit getestet, ob die durch die spezifische Katalogsituation bedingten aufwendigen Vorbereitungs- und Pflegearbeiten (s.u.) durch Scannen des gesamten Katalogs reduziert werden können. An die vollständige Aufgabe des konventionellen Retrokonversionsverfahrens zugunsten des Scannens wird gegenwärtig nicht gedacht. Bei den von der Bibliothek geprüften, preisgünstigen Angeboten ließe sich die volle Funktionalität des PI-Zettelkatalogs nur mit Hilfe manueller Nacharbeiten (Erfassen der Ordnungswörter) reproduzieren, während treffsichere und zuverlässige Autoren-, Titel- und Stichwortrecherchen wegen der unstrukturierten Texterfassung sowie der OCR-Erkennungsdefizite noch nicht gewährleistet werden können.


Konversionsmethode

Die Konversion erfolgt in enger Anlehnung an das bei der DV-Katalogisierung der aktuellen Erwerbungen (1987ff.) angewandte Verfahren, d.h. als direkte online-Katalogisierung in die Verbunddatenbank. Das hat den Vorteil, daß im Prinzip für das Fachpersonal keine Einarbeitungszeit anfällt, Personal aus allen Katalogisierung-Dienststellen flexibel eingesetzt werden kann und die Titelaufnahmen ohne weitere Zeitverzögerung für EDV-Recherchen zur Verfügung stehen.

Die Katalogisierung erfolgt prinzipiell ohne Autopsie nach den im Hessischen Verbund festgelegten Regeln für die retrospektive Katalogkonversion im Kurztitelformat. Bibliographische Recherchen werden nur dann durchgeführt, wenn sie für die korrekte Ansetzung von Namen oder Sachtiteln unbedingt erforderlich sind. Das Kurztitelkatalogisat unterscheidet sich von regulären Aufnahmen dadurch, daß 1. Neuaufnahmen von Körperschaften nur dann gemacht werden, wenn sie für die Haupteintragung nötig sind; im Zweifelsfall erfolgt eine Aufnahme als Sachtitelwerk und 2. Nebeneintragungen von Körperschaften nur dann erstellt werden, wenn in der GKD ein Normdatensatz vorhanden ist. Verknüpfungen zwischen Gesamttitel und Einzelbänden werden nur dann hergestellt, wenn die Informationen auf der Vorlage dies ermöglichen. Das Retrokon-Katalogisat wird in der entsprechenden PICA-Kategorie mit dem Buchstaben "r" als eine durch Retrokonversion entstandene Aufnahme gekennzeichnet und kann von anderen Verbundteilnehmern geändert werden.

Um das Verfahren möglichst kostengünstig zu gestalten und die Arbeit mit den Hilfskräften nicht unnötig zu erschweren, wurde eine weitgehende Übernahme vorhandener Katalogisate angestrebt und zwar solcher, die nur mit einem geringen Umarbeitungsaufwand verbunden sind. Dabei handelt es sich einerseits um die im System bereits vorhandenen Aufnahmen anderer Teilnehmerbibliotheken, die ebenso wie die UB Marburg retrospektive Konversionen planten und inzwischen durchführen, und andererseits um die oben schon erwähnten Fremddaten der DB aus den Jahren 1974ff. Auf diese DB-Daten kann seit der Migration zu PICA im Herbst 1995 leider nicht mehr zurückgriffen werden.


Schulung der Hilfskräfte

Neu eingestellte Hilfskräfte werden während einer Woche halbtags 20 Stunden geschult. Diese Schulung umfaßt eine theoretische Einführung in RAK und PI, beschränkt auf Ein- bis Dreiverfasserschriften, Festschriften und einfache Sachtitelschriften und eine Einführung in das PICA-Handling. Danach folgt eine längere Phase des "learning by doing", in der die Hilfskräfte im Prinzip selbständig katalogisieren, für anfallende Fragen aber stets kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Zum Schulungskonzept gehört auch, daß die von den Hilfskräften aufgenommenen Titel über einen längeren Zeitraum überprüft und die festgestellten Fehler zum Zwecke der selbständigen Korrektur und Steigerung der Qualifikation an sie zurückgegeben werden. Nach einer 1/2jährigen Einarbeitungszeit werden die Hilfskräfte in einer weiteren Unterrichtseinheit (ca. 4 Stunden) in der Aufnahme einfacher Körperschaften geschult.


Geschäftsgang

Der konkrete Geschäftsgang wird in erster Linie durch die oben skizzierte Katalogsituation bestimmt, darüber hinaus aber auch beeinflußt durch die Qualifikation des Personals (Hilfskräfte), die Bedürfnisse der Benutzer sowie die Notwendigkeit, rationell zu arbeiten.
Damit sind die Titel für die Konversion im engeren Sinne vorbereitet. Obgleich in der UB Marburg die Integration und Mischung der Arbeit favorisiert werden, erfolgen diese beiden ersten Schritte - Ziehen der Karten und Ergänzen der fehlenden Informationen - seit einiger Zeit in Stapelverarbeitung. Werden sie durch jeden einzelnen Mitarbeiter ausgeführt, stören sie den Arbeitsablauf ganz empfindlich und verschlechtern das quantitative Arbeitsergebnis in überproportionaler Weise.

Ergebnisse und Erfahrungen

Katalogisierungsleistung

Die Katalogisierungsleistung der Hilfskräfte liegt pro Stunde bei 5,5 Exemplardaten. Für das Fachpersonal der UB liegen entsprechende Ergebnisse aus Datenschutzgründen nicht vor. In der Projektskizze war man von 6-10 Datensätzen ausgegangen. Das in bezug auf den ersten Wert geringfügige Unterschreiten der Planungsdaten wie auch der Freiburger Ergebnisse (ca. 9) ist auf folgende Faktoren zurückzuführen:
  1. Die Fremddatennutzung liegt mit gegenwärtig nur noch 25-30% (Freiburg: 72%) weit unter den ursprünglichen Annahmen.
  2. Die Katalogpflegearbeiten (Hauptaufnahmen und Verweisungen ziehen) sind sehr zeitaufwendig.
  3. Die Aufnahme der Lokaldatensätze für rund 100 verschiedene Bibliotheken mit 100 verschiedenen Bibliothekskennzeichen sind wesentlich aufwendiger als Aufnahmen für nur eine Bibliothek.
  4. Die Ansetzungsformen komplexer Signaturen (mehrbändige Werke, Serien) müssen häufig nachgeschlagen und überprüft werden.
  5. Während der DV-Erfassung müssen Daten ergänzt werden (BIK, Ausleihcode, lokale Schlüssel), die auf der Titelkarte nicht verzeichnet sind und auch vor der Bearbeitung nicht ermittelt und nachgetragen wurden und aus dem Inhalt oder Erscheinungsjahr des Titels, dem Standort oder der Schrifttumsgattung erschlossen werden müssen und ggf. in Listen nachzuschlagen oder nachzuprüfen sind.

Nach drei Jahren und zwei Monaten, das sind ca 30% (genau: 31,6%) der Projektlaufzeit, sind 143.592 Exemplardaten erfaßt. Das sind 56,8% derjenigen Solldaten (252.800), die hätten erreicht werden müssen, wenn - entsprechend der Kalkulation - 10 volle Hilfskraftstellen bewilligt worden wären. Um dieses Ergebnis in bezug auf das anvisierte Ziel richtig einschätzen zu können, ist folgendes zu berücksichtigen:

  1. Die Leistungen konnten u.a. durch größere Routine von Jahr zu Jahr gesteigert werden: 1994 (8 Monate): 20.573, 1995: 36.260, 1996:62.334, 1997 (6 Monate): 24.435 Exemplardaten.
  2. Ein Jahr nach Beginn des Projektes wurden 1995 durch die Migration von HEBIS nach PICA und den damit verbundenen Schulungen umfangreiche Personalkapazitäten gebunden. Die Hilfskräfte mußen innerhalb kurzer Zeit im Handling von zwei völlig unterschiedlichen Katalogisierungssystemen geschult werden. In der der Migration vorausgehenden Phase vom 1.4.1995 bis zum 30.9.1995 stand das alte Katalogisierungssystem für die Erfassung nur eingeschränkt zur Verfügung: So konnten zeitweise keine mehrbändigen Werke aufgenommen werden, vorhandene Titel- und Lokaldaten konnten nicht geändert werden. Der oben beschriebene Geschäftsgang mußte diesen Bedingungen angepaßt und die Verträge der Hilfskräfte für einige Monate ausgesetzt werden. Geschäftsgangsänderungen gleich welcher Art müssen durchdacht, vorbereitet, erläutert, angenommen und umgesetzt werden, was - wie Sie wissen - in allen Phasen und für alle Beteiligten Zeit kostet.
  3. Der Geschäftsgang wird von Zeit zu Zeit evaluiert und wenn möglich optimiert (vermehrte Stapelverarbeitung, Verlagerung von unumgänglichen Revisionsarbeiten in andere Dienststellen).
  4. Seit Einführung der DV-Katalogisierung in den Institutsbibliotheken im Herbst 1995 werden auch dort unabhängig von der UB sukzessive Retrokonversionsprojekte initiiert und durchgeführt, u.a. auch durch den Einsatz von Hilfskräften. In dem Maße, in dem diese Projekte fortschreiten, kann die UB für ihr laufendes Projekt verstärkt auf bereits vorhandene Titel- und Lokaldaten zurückgreifen.

Konversionsqualität

Die nach diesem Verfahren konvertierte Titelaufnahme unterscheidet sich von ihrem konventionellen Vorgänger vor allem durch vermehrte und zusammengeführte Informationen: Während die Standortsignatur der Präsenzbestände an den konventionellen Katalogen nur in zwei Schritten zu ermitteln war, steht sie nach der Konversion dem Benutzer im Anschluß an die Titelrecherche sofort zur Verfügung. Die Erfassung der Buchnummern und des Ausleihcodes gewährleistet, daß der Benutzer nach erfolgreicher Recherche den aktuellen Ausleihstatus erfährt, was in Verbindung mit der inzwischen implementierten Bestellkomponente eine willkommene Verkürzung des mit der Bestellung und Ausleihe von Literatur verbundenen Aufwandes bedeutet. Durch die Erfassung der Buchnummern können auch interne Arbeitsvorgänge verkürzt werden, indem die den integrierten Bibliothekssystemen inhärenten Rationalisierungspotentiale genutzt werden.

Die mediale Konversion als solche und die Integration in das PICA-Verbundsystem ersetzen das frühere Zettel-Browsing in PI-Ordnungswörtern durch ein treffsicheres und zuverlässiges Autoren-, Titel- und Stichwortretrieval.

Benutzung

Seit Einführung des OPAC im Herbst 1994 haben sich die Ausleihen aus dem geschlossenen Magazin um 30% erhöht, eine Steigerung die nicht auf eine entsprechende Aktualisierung des Ausleihbestandes durch Neukäufe zurückgeführt werden kann. Wir erklären sie zu einem guten Teil damit, daß aufgrund der Retrokonversion dem Benutzer mehr aktuelle Literatur leicht recherchierbar angeboten wird. Die retrospektive online-Erfassung wissenschaftlicher Literatur trägt also unmittelbar zur Rationalisierung und Effektivierung der forschungs- und studiumsvorbereitenden Tätigkeiten bei und damit auch zu der politisch gewollten Verkürzung der Studienzeiten.


Flankierende Projekte

Das Retrokon-Hauptprojekt - wie wir es bezeichnen - wird inzwischen von verschiedenen kleineren Projekten flankiert, die die Funktion haben, viel benutzte Sonderbestände ohne Zeitschnitt zu konvertieren. Auf diese Weise wurden und werden der Lesesaal- und Katalogsaalbestand sowie andere Teilbestände, die sachlich besonders tief erschlossen sind, online katalogisiert. Die Titel der vielgenutzten Lehrbuchsammlung wurden bereits kurz nach Einführung der EDV-Katalogisierung im Jahre 1987/88 komplett elektronisch erfaßt.

Die Erfassung des Lesesaal und Katalogsaalbestandes erfolgt anhand des Standortkataloges, der anders als die ZAK-Aufnahme die Standortsignatur verzeichnet. Durch die Arbeit mit dem internen Standortkatalog entfällt auch der bei dem Hauptprojekt bestehende Zeitdruck. Vor oder nach der Erfassung müssen allerdings die entsprechenden Hauptaufnahmen aus dem ZAK gezogen werden, um eventuell vorhandenen Institutsbesitz zu ergänzen. Nach der vollständigen Katalogisierung werden dann die Verweisungen aus dem ZAK entfernt. Ein Vorzug dieses Projektes - unter arbeitsorganisatorischen Gesichtspunkten - besteht darin, daß das Retrokon-Hauptprojekt von der Ermittlung der Standortsignaturen entlastet wird.

Einige der im Rahmen von Sammelschwerpunkten erworbenen Bestände (z.B. Marburgensia, Religionswissenschaften) werden mit Hilfe von Sonderkatalogen erfaßt, weil die entsprechenden Sacherschließungsdaten, Notationen und Schlagwörter, auf den ZAK-Aufnahmen nicht verzeichnet sind. Auch hier gilt selbstverständlich, daß vor bzw. nach der Katalogisierung die dazugehörigen ZAK-Aufnahmen gezogen werden müssen, um Institutsbesitz nachzutragen. Nach der vollständigen Katalogisierung müssen auch die Verweisungen aus dem Hauptkatalog entfernt werden.

In einem weiteren Teilprojekt wird - ebenfalls ohne Zeitschnitt - besonders häufig genutzte Literatur erfaßt. Zu diesem Zwecke werden aus den in der Leihstelle zurückgegebenen Büchern häufig ausgeliehene Titel (Stempel) selektiert und anhand der aus dem Zentralen Alphabetischen Katalog gezogenen Titelkarten nebst Institutsbesitz erfaßt.

Ein letztes Projekt - "Retrokonversion Ortsleihe" - hat zum Ziel, Titel, die für die Ausleihe bestellt werden und noch keine Buchnummer haben, noch vor dem Ausleihvorgang zu konvertieren, um die bisher notwendige Doppelerfassung als Kurztitel und Retrokonaufnahme zu vermeiden. Da in der UB Marburg die Sofortausleihe (1/2 Stunde) als Service gepflegt wird, gelingt dies nur für einen Teil der bestellten Bücher. Von dem online-Katalogisat wird eine Kopie erstellt, anhand derer die entsprechenden ZAK-Karten gezogen und der vorhandene Institutsbesitz ergänzt wird.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum nicht alle Personalressourcen gebündelt werden und man sich nur mit einem Projekt befaßt. Wenn das so einfach ginge, würde das mit Sicherheit getan werden. Die Teilprojekte wurden auch initiiert, um nur sporadisch vorhandene, mittel- und langfristig nicht voraussehbare Personalressourcen zu nutzen. So wurden z.B. Mitarbeiter des mittleren und gehobenen Dienstes in den Benutzungs-Dienststellen, auch solche, die über keine Katalogisierungserfahrung verfügten, geschult, um zum Beispiel in Zeiten geringeren Benutzerandrangs an überschaubaren Retrokonversionsprojekten zu arbeiten. Die genannten Teilprojekte stellen also willkommene arbeitsflußregulierende Instrumentarien dar. Die Einbindung dieser sporadischen Personalressourcen in das Hauptprojekt wäre wegen der dort einzuhaltenden Bearbeitungsfrist von vier Wochen nur sehr schwer möglich. Da ein großer Teil der bei diesen Projekten konvertierten Bestände in die Zeit 1974-1986 fällt, kommen sie letztlich auch dem Hauptprojekt zugute.


Kosten

Bei der Berechnung der Kosten der Konversion (Modellrechnung) wurden nur die Ausgaben für den Einsatz der studentischen Hilfskräfte berechnet, nicht die des eigenen Personals. Da es Konsens in der Literatur ist, daß die Kosten für die erforderliche Hardware-Ausstattung der Arbeitsplätze - umgerechnet auf den einzelnen Titel - eine vernachlässigbare Größe darstellen, werden diese nicht berücksichtigt. Als Kostenfaktoren verbleiben die Personalmittel sowie der Aufwand für Schulung und Betreuung in einer Größenordnung von ca. 10%. Der Brutto-Stundenlohn der studentischen Hilfskräfte liegt zur Zeit bei 16,40 DM. Bei einer Arbeitsleistung von 5,5 Titeldaten pro Stunde beträgt der Preis für eine vollständige Aufnahme unter Einschluß der Katalogpflegearbeiten und inklusive Schulung und Betreuung 3,28 DM.

Um diesen Preis mit anderen Angeboten vergleichen zu können, müssen 15% für die für Marburg spezifischen Katalogpflege- und Vorbereitungsarbeiten (Ziehen der Hauptaufnahmen und Verweisungen, Ermitteln der Buchnummern u.a.) abgezogen werden. Stellt man des weiteren den theoretischen Nutzen der Retro-Katalogisate für die übrigen hessischen Bibliotheken bei einem angenommen Mehrfachbesitz in der Größenordnung von 2,5 in Rechnung, wobei vorausgesetzt wird, daß 3/8 der Arbeitszeit für die Aufnahme der Lokaldaten und 5/8 für die Aufnahme der Titeldaten benötigt werden, ergeben sich im Verbund pro nachgewiesenem Exemplar nur noch Kosten von 1,74 DM.

Vergleicht man diesen Preis und die damit verbundenen Leistungen (s.o) mit jüngeren Angeboten aus dem Bereich der Scan-Technik, (z.B. 0,50 Pfennig pro Karte) ergeben sich bei genauerem Hinsehen interessante Ergebnisse: Um auf der rein rechnerischen Ebene eine Vergleichbarkeit herstellen zu können, muß der oben angenommene Preis für das Scannen einer Titelkarte mit dem Faktor 1,5 multipliziert werden, da die Verweisungskarten (ca. 33% in einem PI-Katalog) - sofern sie nicht zuvor entfernt werden - mit zu berechnen sind. Der Preis für das Scannen eines Titels beträgt somit pro Bibliothek 0,75 DM. Da die übrigen hessischen Bibliotheken - anders als bei der Direktkatalogisierung in die Verbunddatenbank - von den gescannten Aufnahmen nicht profitieren können, ergibt sich bei regionalem Mehrfachbesitz keine Vergünstigung: Im Verbund mehrfach vorhandene Titel müssen - ohne irgendeinen Rationalisierungsgewinn - in gleicher Weise und zum gleichen Preis mehrmals gescannt werden, während die Ausgaben für die konventionell erstellten Aufnahmen - von allen genutzt - sich pro Exemplar um mehr als ein Drittel (36,5%) reduzieren. Die Kostendifferenz zwischen der gescannten Titelkarte und der konventionell erstellten Titelaufnahme beträgt somit nur noch 99 Pfennige (1,74/0,75 DM).

Bei dieser einfachen Kostenüberstellung wurde jedoch vernachlässigt, daß beim konventionellen Retrokon-Verfahren, wie es in Marburg praktiziert wird, wesentlich mehr Daten erfaßt werden, als beim Scannen. Ein aussagekräftiger Vergleich ist folglich nur möglich, wenn man berechnet (fiktive Modellrechnung), wie teuer das konventionelle Verfahren wäre, wenn die beim Scannen nicht erfaßten, weil auf der Titelkarte fehlenden Daten (Buchnummer, BIK, Standortsignatur u.a.) nicht ermittelt und auch nicht erfaßt würden. Bei einem solchen datenreduzierten konventionellem Verfahren könnten schätzungsweise 2/3 der für die komplette Lokaldatenaufnahme notwendigen Zeit (= 0,70 DM) eingespart werden. Die Kosten pro nachgewiesenem Exemplar im Verbund beliefen sich dann nur noch auf 1,05 DM.

Des weiteren sind die mit dem Scannen verbundenen deutlich höheren Folgekosten zu berücksichtigen, die entstehen durch 1. Mehrarbeit bei allen Standortänderungen, 2. Mehrarbeit bei der Ausleihe von Büchern, die noch nicht im Ausleihmodul erfaßt sind (Nacherfassung im Kurztitelformat oder vollständige Aufnahme), 3. Mehrarbeit bei der manuellen Bearbeitung von Fernleihbestellungen, 4. Mehrarbeit für die ggf. notwendige doppelte Pflege der Kataloge, sofern auf den Zettelkatalog nicht vollständig verzichtet werden kann, 5. den höheren Zeitaufwand infolge geringerer Treffsicherheit und eines ggf. nicht optimalen Antwortzeitverhaltens bei allen Geschäftsgängen, die mit Katalogpflegearbeiten verbunden sind, und 6. den höheren Beratungsaufwand für die Mitarbeiter der Auskunft (zwei verschiedene elektronische Kataloge mit sehr unterschiedlichen Recherchemodalitäten, ggf. geringere Transparenz der Katalogsituation).

Ein scheinbar billig gescannter Katalog könnte sich letztlich als ein sehr teures Provisorium erweisen. Die Vor- und Nachteile beider Verfahren müssen auf jeden Fall sehr genau geprüft und gegeneinander abgewogen werden.


Anmerkungen:

Anm. 1:
Text eines Vortrages, gehalten auf der DBI-Fortbildungstagung "Planung und Durchführung von Konversionsprojekten - Erfahrungsberichte aus Bibliotheken" in Berlin am 8./9. September 1997.

Anm. 2:
Vgl. dazu: Maurer, Hansjürgen: Retrospektive Katalogkonversion in einem Verbundsystem. In: ZfBB 38 (1991), S. 109-128. Flamm, Regina: Retrospektive Konversion ("reko") im Südwestdetuschen Bibliothek (SWB) - Erfahrungen in der UB Freiburg. In: Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft katholisch-theologischer Bibliotheken (AKTHB) 41 (1994), S. 59-69.

Anm. 3:
Schäuble, Peter: Kostengünstige Konversion großer Bibliothekskataloge. In: ABI-Technik 16 (1996), S. 165-166. Bork, Heinz: Retrokatalogisierung durch Scannen: Ein kostengünstiges und schnelles Verfahren. In: ABI-Technik 17 (1997), S. 55-56.