Haubfleisch, Dietmar:[Rezension von:] Ullrich Amlung: Adolf Reichwein 1898-1944. Eine
Personalbibliographie. Marburg 1991 (Schriften der
Universitätsbibliothek Marburg, 54). - Adolf Reichwein 1898-1944. Reformpädagoge, Volkskundler, Widerstandskämpfer.
Vorträge im Rahmen einer Akademischen Feierstunde
anläßlich der Übergabe des Adolf Reichwein-Archivs
1. Dezember 1989. Redaktion: Ullrich Amlung und Walter Wagner.
Marburg 1990 (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg,
50). In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte. Jg. 41
(1991), S. 374-376. - Wieder: Marburg 1997: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1997/0003.html
Dietmar Haubfleisch
[Rezension von:] Ullrich Amlung: Adolf Reichwein 1898-1944. Eine
Personalbibliographie. Marburg 1991 (Schriften der
Universitätsbibliothek Marburg, 54). - Adolf Reichwein 1898-1944. Reformpädagoge, Volkskundler, Widerstandskämpfer.
Vorträge im Rahmen einer Akademischen Feierstunde
anläßlich der Übergabe des Adolf Reichwein-Archivs
1. Dezember 1989. Redaktion: Ullrich Amlung und Walter Wagner.
Marburg 1990 (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg,
50).
Bei der hier zu besprechenden Bibliographie handelt es sich um
eine überarbeitete Fassung der Personalbibliographie Adolf
Reichweins in Teil II der Dissertation von Ullrich Amlung, Adolf
Reichwein 1898-1944. Ein Lebensbild des politischen
Pädagogen, Volkskundlers und Widerstandskämfpers,
Marburg 1990, die im Herbst dieses Jahres im Dipa-Verlag in
Frankfurt erscheinen wird.
Adolf Reichwein, an den heute vor allem zahlreiche nach ihm
benannte Schulen und Straßen erinnern, wurde 1898 als Sohn
einer Lehrerfamilie in Bad Ems geboren und wuchs im hessischen
Ober-Rosbach bei Friedberg auf. Nach schwerer Verwundung im Ersten
Weltkrieg begann er ein breitgefächertes Studium in
Frankfurt, das er in Marburg, wo er aktives Mitglied der
jugendbewegt und hochschulreformerisch orientierten studentischen
"Akademischen Vereinigung Marburg" war, 1921 mit seiner
Dissertation "China und Europa im 18. Jahrhundert" abschloß.
Bald danach wurde der junge Historiker Berater für
Volkshochschulfragen im preußischen Kultusministerium. Von
1925 bis 1929 übernahm er die Leitung der Volkshochschule
Jena, an der er eine vielbeachtete Arbeiterbildungskonzeption
entwickelte und erprobte. Während dieser Jahre führten
ihn abenteuerliche Reisen, die er in zahlreichen
wissenschaftlichen, landeskundlichen und jugendliterarischen
Publikationen auswertete, nach Nord- und Mittelamerika, nach
Südostasien sowie nach Skandinavien.
Im April 1929 wurde Reichwein Leiter der Pressestelle und
persönlicher Referent des preußischen Kultusministers
C.H. Becker in Berlin und arbeitete hier mit am Aufbau der
Pädagogischen Akademie in Halle/Saale. Von dieser Funktion
wurde er, der im Herbst 1930 in die SPD eingetreten war, am 24.
April 1933 durch den nationalsozialistischen Kultusminister Rust
entbunden.
Vor die Alternative gestellt, entweder eine Professur an der
Emigranten-Hochschule in Istanbul oder aber als Volksschullehrer
in einem entlegenen Dorf in der Mark Brandenburg eine einklassige
Volksschule zu übernehmen, entschied er sich für das
letztere und wurde von Oktober 1933 bis Mai 1939 Lehrer an der
evangelischen Dorfschule in Tiefensee/Mark Brandenburg. Es gelang
ihm hier, im Schatten des nationalsozialistischen Staates ein
alternatives Schulmodell in der Tradition der Reformpädagogik
zu entwickeln, dessen Faszination und Aktualität bis heute
andauert, wie nicht zuletzt der im Herbst 1991 in einer
kommentierten Edition unter Federführung des Marburger
Erziehungswissenschaftlers Wolfgang Klafki bei Beltz erscheinende Schulbericht Reichweins, "Das Schaffende Schulvolk" aus dem Jahr 1937, bezeugt. Im Mai 1939 beendete Reichwein seine Arbeit in Tiefensee, um die Leitung der Abteilung "Schule und Museum" am
Museum für Deutsche Volkskunde in Berlin zu übernehmen.
Er konzipierte und organisierte hier vier große
Schulausstellungen zu handwerklichen Themen und unternahm mehr als
100 Reisen zu museums- und werkpädagogischen Vorträgen
und Kursen im ganzen Reich.
Während der Kriegsjahre beteiligte sich Reichwein an den
konspirativen Treffen des "Kreisauer Kreises". Verantwortlich
für das kulturpolitische Programm dieser Widerstandsgruppe,
galt er als deren Kultusministerkandidat für eine Regierung
nach Hitler. Am 4. Juli 1944 wurde Reichwein durch die Gestapo
verhaftet und nach dreieinhalbmonatiger Haft in den Folterkellern
der Gestapo am 20. Oktober 1944 zusammen mit sozialdemokratischen
Freunden vom "Volksgerichtshof" unter Freisler in einem
Schauprozeß zum Tode verurteilt und Stunden später in
Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Die von Ullrich Amlung zusammengestellte Personalbibliographie ist
ein unentbehrliches Hilfsmittel für einen Zugang zu Leben und
Werk Reichweins. In einer Vorbemerkung (S. 5-8) werden
zunächst die Auswahlkriterien für die aufgenommenen
Titel sowie die angewandten Gliederungsprinzipien, die sich an
Erscheinungsjahr und Textkategorie orientieren, genannt. Ein
Siglenverzeichnis schließt sich dem an (S. 10). In einem
ersten Hauptteil erfaßt die Personalbibliographie die
Schriften von Adolf Reichwein (S. 11-51), in einem zweiten
Hauptteil die veröffentlichten und z.T. auch die
unveröffentlichten Schriften über Adolf Reichwein (S.
52-89). Beide Hauptabschnitte sind jeweils in Publikationen vor
und nach 1944 bzw. 1945, also in Veröffentlichungen zu
Lebzeiten Reichweins bzw. nach dessen Tod getrennt. In einem
dritten Hauptteil werden Film- und Tondokumente über
Reichwein aufgeführt (S. 90).
Mit dieser Bibliographie geht Amlung weit über bisherige
unvollständige und fehlerhafte Reichwein-Bibliographien (vgl.
S. 8f.) hinaus. So kann er allein 285 Titel von Reichwein bis
1944, 52 weitere nach Reichweins Tod 1944 erschienene Titel
aufführen. Bei der Sekundärliteratur, die Monographien,
Beiträge in Sammelbänden, Aufsätze und Berichte in
Zeitschriften, Zeitungsartikel, Rezensionen sowie Hinweise auf
Reichwein in publizierten Tagebüchern und Briefen von
Zeitgenossen enthält (S. 62-87), ist einmal hervorzuheben,
daß erstmals, "auch eine größere Anzahl von
Autoren aus der ehemaligen DDR erfaßt [wird], so daß
auf dieser Grundlage die unterschiedlich verlaufende Reichwein-Rezeption in den beiden Teilen Deutschlands vor ihrer
Wiedervereinigung im Herbst 1990 transparent wird" (S. 7). Als
eine weitere Besonderheit ist anzumerken, daß im Gegensatz
zu bisherigen Reichwein-Bibliographien hier erstmals "auch
Veröffentlichungen aufgeführt sind, deren Titel nicht
unbedingt und schon gar nicht expressis verbis auf Adolf Reichwein
hindeuten, die aber in einzelnen Kapiteln, zumindest aber in
zusammenhängenden und wesentlichen Textpassagen auf Leben und
Werk Reichweins eingehen" (S. 7).
Eine tabellarische Zusammenstellung der Lebensdaten Reichweins (S.
91f.) sowie ein bei der chronologischen Anordnung der Titel
unentbehrliches Autorenregister (S. 93-95) runden die
Veröffentlichung ab. Die Reichwein-Bibliographie wurde als
Bd. 54 in die Schriftenreihe der Universitätsbibliothek
Marburg aufgenommen, die seit 1989 das Reichwein-Archiv als
Depositum des "Adolf-Reichwein-Vereins e.V." beherbergt.
Anläßlich der feierlichen Übergabe des Archivs an
die Universitätsbibliothek Marburg am 1. Dezember 1989 wurde
ein kleiner Festakt veranstaltet. Die hier gehaltenen
Vorträge - es handelt sich um persönliche Erinnerungen
der Marburger Volkskundlerin Ingeborg Weber-Kellermann an Adolf
Reichwein (S. 11-18), eine Beschreibung der Aufgaben des Adolf-Reichwein-Archivs von Ullrich Amlung (S. 19-29) und die
Thematisierung der Aktualität Reichweins am Beispiel seiner
Tiefenseer Schulschriften durch Hans Christoph Berg (S. 31-43) - wurden zusammen mit Begrüßungs- und Dankesworten des
Direktors der Universitätsbibliothek Marburg Dirk Barth (S.
5f.), Wolfgang Klafkis (S. 7-10) und des Sohns Adolf Reichweins
Roland Reichwein (S. 43) sowie einer von Ullrich Amlung erstellten
kurzen biograhischen Skizze Adolf Reichweins (S. 45-49) und
einigen ausgewählten Dokumenten (S. 51-58) als Bd. 50 der
Schriften der Universitätsbibliothek Marburg
veröffentlicht.
Als Standort des Reichwein-Archivs, das gegenwärtig unter
wissenschaftlicher Leitung von Ullrich Amlung erschlossen wird,
ist Marburg die zentrale Stätte der Reichwein-Forschung
geworden. Auf der Basis von neuer Reichwein-Biographie, Reichwein-Bibliographie sowie der vor Abschluß stehenden
Katalogisierung des Reichwein-Archivs ist davon auszugehen,
daß hier ein Forschungsprozeß im Gang ist, der
sicherlich zu zahlreichen weiterführenden Erkenntnissen
über den politischen Pädagogen, den Volkskundler und den
Wiederstandskämpfer Adolf Reichwein mit Auswirkungen, z.B. im
Bereich des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, der
Reformpädagogik und der Museumspädagogik, führen
wird.