Presseinformationen der Universitätsbibliothek Marburg

- Presseinformation vom 30.04.1998 -

Die widerspenstigen Niederlande

Frühneuzeitlicher niederländischer Buchbestand der Universitätsbibliothek Marburg
vom 04. Juni bis zum 5. Juli 1998

Vor genau 350 Jahren wurde im Westfälischen Frieden die Republik der Vereinigten Niederlande offiziell anerkannt. Während das Jahr 1648 in Deutschland in erster Linie mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges gleichgesetzt wird, bedeutet es für die Niederlande die Beendigung eines achtzig Jahre dauernden Kampfes gegen die spanische Unterdrückung und für die Autonomie.

Entsprechend bietet das Jahr 1998 für beide Länder Anlaß, in Gedenkfeiern und Ausstellungen an jene bedeutsame Zeit zu erinnern. Entgegen gängigen Konzepten der Aufarbeitung historischer Fakten, soll diese Ausstellung das Thema auf eine etwas eigenwillige Art und Weise zeigen, da ausschließlich in der Universitätsbibliothek Marburg vorhandene niederländischsprachige Bücher des 16. und 17. Jahrhunderts als Medien herangezogen werden. Ausgewählte Exponate aus dem zu dem Thema umfangreichen Bestand lassen die Ereignisse dieser "widerspenstigen" Epoche in der Geschichte der Niederlande transparent werden. Die Konzentration auf niederländischsprachige Literatur würdigt neben dem global bedeutsamen 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens das 75jährige Bestehen der niederländischen Abteilung an der Philipps-Universität Marburg. Die Exponate umfassen Quellentexte für historische, landeskundliche sowie literarische Forschungen im Bereich der Niederlandistik und erlauben aufgrund zahlreich vorhandener Kupferstiche neben den sprachlichen auch bemerkenswerte visuelle Einblicke in die Zeitzeugnisse.

Sprechen die Niederländer über das 17. Jahrhundert, dann sprechen sie von dem "Gouden Eeuw", dem "Goldenen Jahrhundert": der großen Blüteperiode der niederländischen Geschichte. Die Niederlande waren damals das bedeutendste wirtschaftliche Zentrum Europas. Niederländische Städte wie Rotterdam, Antwerpen oder Amsterdam entwickleten sich zu Drehscheiben des Welthandels, in denen nahezu die Hälfte der Welthandelsgüter umgeschlagen wurde. Zudem waren ihre Häfen Ausgangs- und Zielpunkt für die Schiffe der Ost- und Westindischen Kompagnie, die das Herzstück des niederländischen Handels bildeten. Auf Basis dieses Reichtums entstand eine kulturelle Vielfalt, die sich in der auf Repräsentation ausgerichteten Architektur der Gebäude ebenso widerspiegelt, wie in der Malerei eines van Eyck und Rubens, eines Rembrandt und Vermeer. Von der stabilen Wirtschaftslage profitierten darüber hinaus jedoch auch Literatur und Wissenschaft und mit ihnen die Buchproduktion. Namen wie Hooft und Vondel auf Seiten der Literatur, Grotius und van Leeuwenhoek auf Seiten der Wissenschaften oder die exotischen Reiseberichte von Dapper oder Nieuhof waren Zeitgenossen bestens bekannt; Bücher aus den Druckereien von Plantin und Elzevier waren über ganz Europa verbreitet. Besonders hervorzuheben sind auch die theologischen Publikationen, in denen die Auseinandersetzungen in Bezug auf die Interpretation der Erwählungslehre im Vorfeld der Dordrechter Synode (1618/1619) ihren Niederschlag fanden. Die Beteiligung der Marburger Philipps-Universität an der Synode führte u.a. zur calvinistisch-reformiert geprägten Neugründung dieser Universität im Jahre 1653.

Über all diesen Glanz, den die Niederlande in jener Periode ihrer Geschichte sowohl in ökonomischer als auch in kultureller Hinsicht ausstrahlten, darf man jedoch nicht vergessen, daß das "Goldene Jahrhundert" zugleich eine äußerst blutige Zeit war. Immer massiver werdende Steuerforderungen, Beschränkungen alter Privilegien und die Bekämpfung reformatorischer Bestrebungen seitens der spanischen Obrigkeit vereinigten die gesamten Niederlande. Standesdünkel wurden überwunden, und die Partikularinteressen der unter einander zuweilen konkurierenden Regionen zurückgesteckt. Aus der pluralistischen Gesellschaft der 'Regenten, Rebellen und Reformatoren' (Ernst Zahn) entstand unter dem Vorzeichen der Revolution zumindest für einen gewissen Zeitraum ein Volk. Denn wenn man von der heutigen Situation ausgeht, existieren mit den Königreichen Belgiens und der Niederlande sowie dem Herzogtum Luxemburg drei unabhängige Staaten, deren Territorien in etwa jenem Gebiet entsprechen, das im 16. und 17. Jahrhundert "De Nederlanden" genannt wurde. Diese Pluralform läßt sich ebenfalls in fremdsprachlichen Namen wie "Die Niederlande", "The Low Countries" oder "Les Pays-Bas" finden. Der Name des heutigen Staates Belgien geht zurück auf den von den Humanisten wiederentdeckten Namen der römischen Provinz Gallia Belgica, einem vor allem in lateinischer Form gelehrten Ausdruck für die gesamten Niederlande. Wollte man innerhalb des Großraums differenzieren, bediente man sich der Namen der einzelnen Provinzen, wobei diese nach dem Prinzip des pars pro toto auch weitere Teile der Niederlande bezeichnen konnten. So spricht man bis auf den heutigen Tag noch von "Holland" oder "Flandern", wenn man die Niederlande bzw. den nördlichen Teil Belgiens meint.

Der achtzig Jahre dauernde niederländische Freiheitskampf, welcher 1568 begann, spaltete 1579 mit der 'Union von Utrecht' die insgesamt 17 Provinzen in zwei Teile: Das 'Land Rembrandts' führte die Bezeichnung für die nördlichen Provinzen in dem Namen "Republik der Vereinigten Niederlande" weiter - 1648 offiziell anerkannt-, während das 'Land Rubens', die südlichen Provinzen also, weiterhin unter spanischer bzw. Habsburger Herrschaft blieb. Erst 1831 wählten die südlichen Provinzen bei ihrer Verstaatlichung den lateinischen Gebietsnamen 'Belgica' zum Landesnamen. Auch wenn die erwähnte synonyme Bedeutung der Begriffe "Niederlande" und Belgien" heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist, spiegelt sie noch immer die gemeinsamen "niederländischen" Wurzeln wider. Der Name "Die widerspenstigen Niederlande" bezieht sich also auf die gesamte Region und die in diesem Gebiet gedruckten Publikationen.

Die Ausstellung ist vom 4. Juni bis zum 5. Juli 1998 im Foyer der Universitätsbibliothek Marburg, Wilhelm-Röpke-Str. 4, zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Samstag 9.00 - 21.30 Uhr, Sonntag 13.00 - 21.30 Uhr, geschlossen am 11. Juni (Fronleichnam). Die Ausstellungseröffnung findet am Donnerstag, den 4. Juni 1998 um 18.00 Uhr s.t. statt. Zur Ausstellung wird ein Katalog zum Preis von DM 25,- angeboten. (Weitere Informationen oder Katalogbestellungen an: Universitätsbibliothek oder Frau Ans Schapendonk, Fachgebiet Niederlandistik, Wilhelm-Röpke-Str. 6 A, 35032 Marburg; Tel.: 06421/284679, e-mail: schapend@mailer.uni-marburg.de)


Ans Schapendonk