archiv/dfg
Schriften (Empfehlungen) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
Deutsche Forschungsgemeinschaft. Bibliotheksaussschuß: Zur finanziellen Situation wissenschaftlicher Bibliotheken in der
Bundesrepublik Deutschland [Memorandum vom Mai 1995] - Textauszug -
"Bibliotheken sind wie Laboratorien, Rechenanlagen oder
wissenschaftliche Geräte unentbehrliche Arbeitsinstrumente
der Forschung. In dieser Erkenntnis fördert die Deutsche
Forschungsgemeinschaft seit Jahrzehnten wissenschaftliche
Bibliotheken, indem sie u.a. im Erwerbungsbereich Maßnahmen
zur Spitzenversorgung mit spezieller und hochspezieller Literatur
durch Bibliotheken mit überregionalen Funktionen
unterstützt. Basis der überregionalen Versorgung
muß aber die von den Bibliotheken mit Mitteln ihrer
Unterhaltsträger zu leistende örtliche Grundversorgung
mit häufig gebrauchter und grundlegender Literatur sein.
Diese Grundversorgung schließt auch die Bereitstellung
spezieller Literatur ein, sofern sie für örtliche
Forschungsschwerpunkte benötigt wird. Eine funktionierende
lokale Versorgung auf der Basis ausreichender Bestände vor
Ort kann in ihrer Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt
werden. Sie bildet die Grundlage für die Erfüllung der
Anforderungen aus Wissenschaft und Forschung und ist nicht durch
die Leistungen weniger überregionaler
Sammelschwerpunktbibliotheken zu ersetzen. Eine weitere
Schwächung der Grundversorgung würde die Forschung in
nicht vertretbarer Weise behindern.
Die im Auftrag des Bibliotheksausschusses der Deutschen
Forschungsgemeinschaft jährlich erarbeiteten Analysen zur
Etatsituation wissenschaftlicher Bibliotheken in der
Bundesrepublik zeigen, daß die Entwicklung der
Erwerbungsetats zurückgeblieben ist. Die durch
fortwährende Kaufkraftverluste bedingte Aushöhlung der
Etats hat ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen. Sie ist
vor dem Hintergrund der Entwicklung auf dem Literaturmarkt zu
bewerten, die sich an folgenden Fakten ablesen
läßt:
- Die Preissteigerung für wissenschaftliche Literatur liegt
weit über der allgemeinen Inflationsrate. Die Verlagspreise
sind im letzten Jahrzehnt in den Geistes- und Sozialwissenschaften
je Jahr um 4 bis 7,5 Prozent, in der Medizin sowie in den Natur-
und Ingenieurwissenschaften um mindestens 10 bis 12 Prozent
gestiegen.
- Die Literaturproduktion steigt ungeachtet unterschiedlicher
Tendenzen in den Wissenschaftsdisziplinen weiterhin an.
Während die wissenschaftliche Verlagsproduktion nach wie vor
jährlich um 2 bis 3 Prozent wächst, liegt der
Produktionszuwachs bei der NichtBuchhandelsliteratur deutlich
höher.
- Mit der Einführung des Binnenmarktes hat sich als weiterer
zusätzlicher Kostenfaktor eine jährliche Etatbelastung
von 3,5 Prozent durch die Einfuhrumsatz- bzw. Erwerbssteuerergeben.
- Neu auf dem Literaturmarkt ist das rasch expandierende Angebot
elektronischer Publikationen, die von Bibliotheken bereitgestellt
werden müssen. Insbesondere wissenschaftlich relevante CD-ROM-Produkte, für die keine Alternativformen z.B. als
Printmedien existieren, weisen exponentielle Steigerungsraten
auf.
Neben den auf dem Literaturmarkt eingetretenen Veränderungen
wachsen gleichzeitig die Anforderungen, die seitens der Forschung
an die Bibliotheken herangetragen werden, wie die Statistiken
für die örtliche und auswärtige Benutzung belegen.
Dabei spielt die Nachfrage nach aktuellen wissenschaftlichen
Neuerscheinungen eine wichtige Rolle. Diese Faktoren bilden
für die Bibliotheken Rahmenbedingungen, die von Ihnen nicht
beeinflußt werden können. Die Entwicklung der
Erwerbungsetats hat mit den veränderten Rahmenbedingungen bei
weitem nicht Schritt gehalten." (S. 427f.)
Der Bibliotheksausschuß der DFG weist zurecht darauf hin,
daß die "Situation der Bibliotheken in den alten und neuen
Bundesländern [...] unterschiedlich und daher jeweils
für sich zu betrachten [sei]" (S. 428):
"Für die Universitätsbibliotheken der alten
Bundesländer war bei laufenden Etatansätzen (Erwerbung,
Einband) 1994 mit einer nominalen Steigerung von 0,6 Prozent ein
faktischer Stillstand festzustellen. Bei einem signifikanten
Anteil der Bibliotheken kam es sogar zu Etatminderungen. Die
Diskrepanz zwischen den Entwicklungen auf dem Literaturmarkt auf
der einen und den stagnierenden finanziellen Resourcen auf der
anderen Seite hat zu einer Verschlechterung der Versorgung auf
lokaler und regionaler Ebene geführt. Die wissenschaftlichen
Bibliotheken können so dem unveränderten Anstieg des
Literaturbedarfs nicht mehr entsprechen.
- Nach Zeitschriftenabbestellungen schon zu Beginn der 80er Jahre
mußten Anfang der 90er Jahre erneut Zeitschriften storniert
werden, dieses Mal in hoher Titelzahl und durch viele
Bibliotheken. Die Abbestellungen erfaßten 1993/94 ca. 90
Prozent aller Universitätsbibliotheken. In fast der
Hälfte der Fälle lag das Abbestellvolumen über DM
100.000,00. Für neu erschienene Zeitschriften zeichnet sich
eine Unterversorgung ab. Neubestellungen sind nur nach
Maßgabe kostenäquivalenter Abbestellungen möglich,
die immer schwieriger zu realisieren sind, je weiter der
Schrumpfungsprozeß fortschreitet.
- 86 Prozent der Universitätsbibliotheken mußten 1994
ihr Ausgabenvolumen für Monographien reduzieren, viele
Bibliotheken Bestellstops verfügen. Von den
Sparmaßnahmen ist die Erwerbung ausländischer
Monographien in besonderer Weise betroffen. Dies hat eine
zunehmende Provinzialisierung des Literaturangebots zur Folge.
- Bei elektronischen Publikationen kann das Angebot an wichtigenCD-ROM-Produkten bei weitem nicht im erforderlichen Umfang
wahrgenommen werden.
- Auch elementaren Aufgaben wie die gezielte Ergänzung des
historischen Bestandes kann allenfalls ansatzweise Rechnung
getragen werden. Noch immer bestehen in erheblichem Umfang
Versorgungslücken, die auf Kriegsverlusten beruhen." (S.
429)
Der Bibliotheksausschuß der DFG schließt sein
Memorandum mit einer klaren und eindeutigen Forderung:
"Wesentliche Voraussetzung für die Forschung ist eine
leistungsfähige Versorgung mit Literatur. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft und ihr Bibliotheksausschuß halten
deshalb eine zureichende finanzielle Ausstattung der Bibliotheken
für dringend notwendig, damit Bibliotheken als
Infrastruktureinrichtungen der Forschung ihre Aufgaben
künftig wieder angemessen erfüllen können. Dies
gilt für Hochschulbibliotheken und andere wissenschaftlichen
Bibliotheken, die Aufgaben der Literaturversorgung der Forschung
wahrnehmen, in gleicher Weise.
[...] die Etatzuwächse in den alten [Bundes-] Ländern
[sind] wieder in stärkerem Maße an den Gegebenheiten
des Literaturmarkts und am Forschungsbedarf zu orientieren.
Wenngleich Überlast- und Sondermittel zu einer Entlastung
beitragen können, bieten sie keine Grundlage für die
erforderliche Kontinuität des Bestandsausbaus.
Bestandsplanung und die zielgerichtete Ausgestaltung der
jeweiligen Erwerbungsprofile sind nur durch eine 'Verstetigung'
der Etatansätze zu erreichen. Öffnet sich die Schere
zwischen Markt und Bedarf auf der einen und Etat auf der anderen
Seite noch weiter, wird sich die Situation der
Literaturversorgung, die bereits Qualitätsverluste erlitten
hat, ganz erheblich verschärfen.
Die Unterhaltsträger und die für die Etatzuweisung und -verteilung verantwortlichen Instanzen werden, um künftig
größeren Schaden von der Forschung abzuwenden, daher
nachdrücklich gebeten, für Abhilfe Sorge zu tragen und
Literaturbeschaffungsmittel in der notwendigen Höhe
bereitzustellen." (S. 429f.)
[Zur Anfangsseite des
Archivservers]