archiv/dbv
Texte des Deutschen Bibliotheksverbandes. Landesverband
Hessen
Text vom 12.03.1997:
Speicherbibliothek
Wenn sich der Deutsche Bibliotheksverband (DBV), Landesverband
Hessen e.V., aus Anlaß des Hessischen Bibliothekstags in
Korbach zum Problem einer zentralen Speicherbibliothek für
die wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes Hessen
äußert, so bezieht er sich dabei auf den Bericht,
den das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst
(HMWK) im November 1996 dem zuständigen
Landtagsausschuß vorgelegt hat. Dieser hat den Bericht im
Dezember 1996 behandelt. Neuere Äußerungen des
Ministeriums liegen dem DBV derzeit nicht vor. Man wird
gespannt sein dürfen, ob der Vertreter des Ministeriums,
der im Rahmen der Fortbildungstagung am 12. Mai 1997 in Korbach
referieren wird, einen aktuelleren Sachstand mitteilen
kann.
Der Bericht des HMWK vom November 1996 macht zur Standortfrage
die Aussage, daß der Standort Arolsen "aus
strukturpolitischen Gründen ... vorrangig geprüft"
werde. Die Standortfrage ist also offenbar noch nicht
entschieden. Es werden jedoch eine Reihe von Gründen
genannt, die für einen Standort Arolsen sprechen:
- die gute Bausubstanz vorhandener Gebäude,
- ausreichende Flächen, "um nicht nur die
Zugänge der nächsten 20 Jahre zu
archivieren" und zur Unterbringung von Einrichtungen
"für eine weitere Behandlung der
Bestände",
- der "wirtschaftliche Impuls", der für das
strukturschwache Gebiet "dringend benötigt"
wird.
Diese Begründung für die Standortwahl Arolsen stellt
wohl den noch aktuellen Stand der Prüfungen des HMWK dar.
Der DBV vermißt dabei überzeugende
bibliotheksfachliche Argumente, die nach seiner Auffassung
für eine solche Entscheidung den Ausschlag geben sollten.
Die Empfehlung der Fachleute, "den Standort Frankfurt für
eine Speicherbibliothek zu wählen", soll dem Bericht zu
Folge ausdrücklich nicht realisiert werden.
Der DBV hat immer die Auffassung vertreten, daß das Land
Hessen eine zentrale Speichermöglichkeit für wenig
genutzte Bibliotheksbestände benötigt. Er bezieht
sich dabei auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats über
den Magazinbedarf der wissenschaftlichen Bibliotheken. In ihnen
macht der Wissenschaftsrat seine Zustimmung zur Finanzierung
von Bibliotheksneubauten und -erweiterungen in den
Bundesländern im Rahmen des Hochschulbauförderungsverfahrens (HBFG) von regionalen
Speicherkonzepten abhängig. Auf den 50%igen Anteil an
Bundesmitteln, um den es dabei geht, ist das Land Hessen
angewiesen, wenn es im Bibliotheksbereich Baumaßnahmen
durchführen will.
Der Hauptgrund für die Errichtung einer Speicherbibliothek
jedoch, nämlich aus den Nähten platzende
Bibliotheksgebäude, trifft auf die hessischen Bibliotheken
zur Zeit nur teilweise zu. Dramatisch ist die Raumsituation in
Frankfurt (Stadt- und Universitätsbibliothek) und in Fulda
(Landesbibliothek). Von den übrigen großen
wissenschaftlichen Bibliotheken wird als nächste die
Universitätsbibliothek Marburg, die ihr altes Haus schon
seit 1979 als Ausweichmagazin nutzt, an ihre
Kapazitätsgrenzen stoßen. Die übrigen
Bibliotheken rechnen in der nächsten Zeit nicht mit
Raumproblemen, da sie teilweise neuere Gebäude (GHB
Kassel, UB Gießen) bzw. Erweiterungen bekommen haben (LHB
Darmstadt, LB Wiesbaden).
Der Vorsitzende des DBV, Aloys Lenz, hat sich in letzter Zeit
nicht nur wiederholt für eine Lösung in Fulda
eingesetzt (Palais Altenstein). Er hat sich auch massiv
dafür stark gemacht, daß die Raumprobleme der Stadt-
und Universitätsbibliothek Frankfurt durch Bereitstellung
des ihr benachbarten Bücherturms der Deutschen Bibliothek,
der jetzt freigeworden ist, abgeholfen wird. Für diese
Lösung gibt es unwiderlegbare Sachargumente, und zwar vor
allem die ausschließliche Nutzungsmöglichkeit des
Turms als Büchermagazin sowie die unmittelbare
räumliche Nähe, die noch dazu durch eine
unterirdische Verbindung, die im Rahmen des U-Bahn-Baus
entsteht, unterstrichen wird. Es wäre aber nicht nur unter
fachlichen, sondern auch unter ökonomischen
Gesichtspunkten absurd, ein auf der gegenüberliegenden
Straßenseite leerstehendes Funktionsgebäude nicht
zur Beseitigung der schlimmen Kapazitätsproblem der StUB
Frankfurt zu nutzen! Wenn diese zwingend erforderliche
Lösung realisiert werden sollte, gibt es auch seitens
Frankfurt keine dringende Notwendigkeit, Bestände in eine
Speicherbibliothek auszulagern.
Es gibt also aus der Sicht der betroffenen Bibliotheken keinen
Grund, eine Entscheidung über eine zentrale hessische
Speicherbibliothek jetzt übers Knie zu brechen. Die
Situation läßt Zeit, um für die im Hinblick auf
die zukünftige Entwicklung des wissenschaftlichen
Bibliothekswesens in diesem Lande unbestritten notwendige
zentrale Speicherbibliothek eine umsichtige und
konsensfähige Konzeption zu entwickeln. Für die
erfolgreiche Arbeit einer Speicherbibliothek ist nichts so
wichtig wie die Akzeptanz der Konzeption bei allen beteiligten
Bibliotheken. Die Bibliotheken sowie die Universitäten, in
die sie eingebunden sind, müssen diese Konzeption
mittragen und zur Abgabe ihrer weniger genutzten Bestände
bereit sein. Aus diesem Grunde sollte man sich Zeit nehmen
für eine gründliche Planung, die die Gesichtspunkte
der Bibliotheken nach Möglichkeit in vollem Umfang berücksichtigt.
Ein sehr wichtiger Bestandteil dieser Konzeption ist die
Standortwahl. Die Bibliothekare haben gute Gründe, einen
Standort zu favorisieren, der kurze Wege garantiert:
- Die Positionierung der Speicherbibliothek muß die
regionale Verteilung der beteiligten Bibliotheken
berücksichtigen, die sich
schwerpunktmäßig im Rhein-Main-Gebiet
befinden.
- Alle Bibliotheken sollten den jeweils
kürzestmöglichen Weg zu ihren abgegebenen
Beständen in der Speicherbibliothek haben.
- Auf Grund der Nutzerzahlen der hier angesiedelten
Bibliotheken wird aus dem Rhein-Main-Gebiet die
intensivste Beanspruchung der Speicherbibliothek kommen;
es wäre also unökonomisch, das Material von
weither nach hier schaffen zu müssen.
- Ein Errichtung der Speicherbibliothek empfiehlt sich auch
wegen der angestrebten Zusammenarbeit mit Mainz und ggfs.
anderen Bibliotheken aus Rheinland Pfalz, das sich in
diesem Fall auch an den Kosten beteiligen würde.
Natürlich rechnen die Bibliotheken damit, daß der
Transport von Büchern an den jeweiligen Nutzungsort,
sprich: an die jeweilige bestellende Bibliothek, in Zukunft
zugunsten
elektronischer Übermittlungsverfahren abnehmen wird. Bisdiese aber umfassend greifen können, fließt noch
einiges Wasser den Main hinunter.
Zur Zeit ist das Problem praktisch nur bei
Zeitschriftenaufsätzen lösbar. Die Bibliotheken
wären zur Abgabe älterer Zeitschriftenjahrgänge
an die Speicherbibliothek unter der Voraussetzung bereit,
daß es möglich ist, die gewünschten
Aufsätze daraus in kürzester Frist in Kopie per Fax
und/oder in digitaler Form (Scanner) per file transfer an
Besteller in den Bibliotheken zu übermitteln. Dieses setzt
jedoch eine Ausrüstung der Speicherbibliothek mit
aktuellster Technologie voraus; hier sind Investitionen
erforderlich, zu denen sich das HMWK bisher konkret nicht
geäußert hat.
Das strukturpolitische Argument, das nach Aussage des HMWK
für Arolsen spricht, ist aus bibliothekarischer Sicht
nicht stichhaltig, weil der Betrieb einer "reinen
Speicherbibliothek" überschlägig allenfalls einen
Personalstab von 5 (in Worten: fünf) Personen erfordert.
Erst wenn man über die reinen Auslagerungs- und einfachen
Bereitstellungsfunktionen hinaus bibliothekarische
Dienstleistungen an die Speicherbibliothek anbindet und so
zentralisiert, steigt der Personalbedarf. In dieser Frage
befindet man sich ebenfalls noch in der Prüfung, denkt
aber an die Zentralisierung von Verfilmungs- und
Digitalisierungsaktivitäten sowie von Maßnahmen zur
Bestandserhaltung.
Der Deutsche Bibliotheksverband ist der Auffassung, daß
sich Entscheidungen auf diesen Sektoren auch nicht von heute
auf morgen treffen lassen, zumal es hier naheliegt, aus
fachlichen und ökonomischen Gründen Alternativen
gründlich zu untersuchen. So bietet sich für die
Digitalisierung der Standort Frankfurt an und hinsichtlich der
Bestandserhaltung haben sich die wissenschaftlichen
Bibliotheken für einen Ausbau der bestehenden
Restaurierungswerkstätten in Darmstadt und Marburg
ausgesprochen.
Der Deutsche Bibliotheksverband schlägt vor, die vom HMWK
vorgelegten Überlegungen zur Speicherbibliothek zu
überdenken und gemeinsam mit den Bibliotheken ein
schlüssiges Konzept zu entwickeln. Dabei ist auch die
Standortfrage erneut zu bedenken. Nach dem derzeitigen
Kenntnisstand sind über die schon angesprochenen Probleme
hinaus noch zu viele Fragen offen, u.a.:
- Soll es in der Speicherbibliothek auch eine Benutzung vor
Ort ("Ortsleihe") geben? (vgl. Antwort zu Frage 13)
- Denkt man daran, die Speicherbibliothek als eine
hessische Zentrale zur Konvertierung bibliographischer
Daten auszustatten? (Vgl. Frage 13: "um wichtige
Bestände elektronisch verfügbar zu machen")
Wenn ja: Welche Daten sollen maschinenlesbar gemacht
werden, und wie steht es dann mit der retrospektiven
Konvertierung der vielgenutzten aktuellen Bestände in den Bibliotheken?
- Wie soll die organisatorische Anbindung der
Speicherbibliothek aussehen? Im Gegensatz zur Aussage des
HMWK (Antwort zu Frage 11) haben sich die Bibliotheken
für eine völlig separate Einrichtung
ausgesprochen.
- Wie stellt man sich die Aussonderung monographischer
Literatur vor? (Vgl. Antwort zu Frage 2)
Der Vorstand des Deutschen Bibliotheksverbands, Landesverband
Hessen, befürchtet, daß die Frage von Einrichtung
und Betrieb einer zentralen Speicherbibliothek für die
wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes überwiegend
nach politischen (strukturpolitischen) und weniger nach
bibliotheksfachlichen Gesichtspunkten entschieden werden soll.
Nach Gesprächen mit den verantwortlichen Bibliothekaren
hat er den Eindruck gewonnen, daß ihre Fachkompetenz
bisher zu wenig in die Überlegungen einbezogen worden ist.
Die im Vorstand vertretenen Bibliothekare lehnen den Standort
Arolsen für eine hessische Speicherbibliothek
einmütig ab. Da es keinen Erfolg verspricht, auf einer
solchen, fachlich unzureichend abgesicherten Grundlage eine
langfristige Investition aufzubauen, empfiehlt der DBV den
politisch Verantwortlichen dringend, das Gespräch mit den
Bibliothekaren zu suchen und mit ihnen gemeinsam eine
tragfähige Konzeption zu erarbeiten. In diesem
Zusammenhang begrüßt er die Teilnahme eines
Vertreters des HMWK im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung am
12. Mai 1997 in Korbach bei diesjährigen Hessischen
Bibliothekstag.
[Zur Anfangsseite des
Archivservers]