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Texte des Deutschen Bibliotheksverbandes. Landesverband
Hessen
Text vom 07.11.1996:
Wissenschaftliche Bibliotheken. Aktuelle Themen und Thesen
Die Lage der wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes Hessen
ist sehr ernst. Die Etatkrise bedroht ihre Substanz:
- Die Bibliotheken verfügen nur noch über weniger als
50% der Kaufkraft des Jahres 1993.
- Von 1991 bis 1995 sind in den wissenschaftlichen Bibliotheken
des Landes Hessen (Landes- und Hochschulbibliotheken ohne
Institutsbibliotheken) insgesamt 3.389 Zeitschriften abbestellt worden.
- In vielen naturwissenschaftlichen Fächern ist die Anzahl
der laufend gehaltenen Periodika (Zeitschriften u.a.) auf etwa
ein Viertel des Bestandes von 1980 zurückgegangen.
- In den Landesbibliotheken Fulda und Wiesbaden ist der Zahl der
gekauften Bücher von 1992 bis 1995 um fast 40%
zurückgegangen.
- Benutzer der UB Gießen geben pro Jahr etwa 55.000
Bestellungen bei auswärtigen Bibliotheken für
Literatur auf, die in Gießen nicht vorhanden ist
(Fernleihe). Die Kosten pro Fernleihvorgang werden heute mit
ca. 30 DM angegeben. Damit verursacht die UB Gießen
höhere Kosten im auswärtigen Leihverkehr (1,65 Mill.
DM), als ihr Erwerbungsmittel zur Verfügung stehen.
- Im Bundesvergleich schneiden die wissenschaftlichen
Bibliotheken des Landes Hessen weiterhin außerordentlich
schlecht ab.
Die Auswirkungen des in diesen Zahlen zum Ausdruck kommenden
Informationsmangels von Wissenschaft und Forschung sind im
Hinblick auf ihre internationale Konkurrenzfähigkeit und
damit langfristig auf die wirtschaftliche
Konkurrenzfähigkeit des Standortes Hessen/Deutschland
katastrophal.
In einer Zeit, in der sich die für eine effektive
Forschung unabdingbare Information jeweils in kurzen
Abständen verdoppelt, ist eine Reduktion der Mittel
für die Erwerbung und Vermittlung von Informationen im
Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung unseres
Landes äußerst kontraproduktiv, ja fatal. Sie
rächt sich langfristig bitter.
Angesichts des Zustands der öffentlichen Finanzen
können die Bibliotheken derzeit aber nicht mit
Zuwächsen rechnen. Gleichwohl sind sie verpflichtet, den
Politikern den Ernst ihrer Lage aufzuzeigen, um ihnen
Gelegenheit zu geben, darauf zu reagieren.
Was die Bibliotheken neben einer angemessenen Ausstattung vorallem benötigen, ist Planungssicherheit. Gerade wenn die
Mittel knapp sind, wünschen sie sich eine berechenbare und
verbindliche regionale Bibliotheksplanung des Landes. Eine
Grundlage dafür liegt in den Empfehlungen einer vom HMWK
eingesetzten Arbeitsgruppe vor: "Informationssystem Hessen.
Ziele, Struktur, Aufbau, Kostenmodell" (1994). Im übrigen
ist inzwischen genug geplant und empfohlen worden; nun
müssen die Planungen den finanziellen Möglichkeiten
entsprechend umgesetzt und verbindlich gemacht werden.
Die bevorstehende Einführung von Globalhaushalten
erfüllt die Hochschulbibliotheken mit Sorge. Damit
würden die Etats der zentralen
Universitätsbibliotheken ganz den Zufällen
inneruniversitärer Interessenkonflikte ausgeliefert.
Planungssicherheit ist damit ebensowenig zu gewährleisten
wie ein angemessenes Verhältnis der Dotierung von
zentraler UB und dezentralen Institutsbibliotheken. Schon unter
den gegebenen schwierigen finanziellen Verhältnissen zeigt
sich, daß die Ausstattung der Zentralbibliotheken in den
letzten fünf Jahren kontinuierlich zurückgegangen,
während im gleichen Zeitraum die Summe der von den
dezentralen Bibliotheken an den Universitäten verausgabten
Buchmittel angestiegen ist. Die Bibliotheken befürchten,
daß sich auf Grund der Besetzung des Haushaltsausschusses
(Professoren-Mehrheit --> dezentrales Interesse) diese Tendenz
unter den Bedingungen des Globalhaushalts und der
verschärften Auseinandersetzungen um das knappe Geld
verstärkt fortsetzt.
Der Globalhaushalt wird insgesamt die zentrifugalen Kräfte
im Bibliothekssystem noch mehr stärken, die ohnehin schon
stark sind. Das hat mit Sicherheit eine Verringerung der
Kosteneffizienz zur Folge und bewirkt zudem eine weitere
Zerfaserung. Bei der Betrachtung dieser Entwicklung, muß
bedenken daß nach unseren Erfahrungen nur von den
Zentralbibliotheken Impulse zu strukturellen Verbesserungen
ausgehen, etwa im Bereich der Erwerbungskoordinierung, d.h.
Impulse zur wirtschaftlichen und sparsamen Ausschöpfung
der Ressourcen am Ort.
In Marburg haben diese Impulse in neun Fällen zu
vertraglich vereinbarter Zusammenarbeit zwischen dezentralen
Bibliotheken und der UB geführt, ja zu deren
organisatorischer Zusammenlegung im Sinne einer "funktionalen
Einschichtigkeit" ("Teilbibliotheken"); dadurch werden z.B.
unnötige Doppelungen 100%ig ausgeschlossen. Eine UB
jedoch, die in ihrer Leistungsfähigkeit zu Gunsten der
dezentralen Bibliotheken immer weiter reduziert wird, kann
keine Impulse setzen und ist als Gesprächspartner
für diese uninteressant. Es muß also auch unter dem
Vorzeichen des Globalhaushalts politisch darum gehen, das
Verhältnis zwischen Fachbereichsbibliotheken insgesamt
und der UB im Sinne des Wissenschaftsrats abzusichern, der
eine Relation von 60 : 40 empfohlen hat.
******
Folgende konkrete Punkte schlägt der DBV zur schrittweisenVerbesserung der Situation der wissenschaftlichen Bibliotheken
vor:
- Erweiterung eines bei den Hochschulen (nicht bei den
Landesbibliotheken) bestehenden Haushaltsvermerks, der die
Möglichkeit eröffnet, alle Einnahmen der
Bibliotheken in Abweichung vom Bruttonachweis von der
Ausgabe bei der ATG 71 abzusetzen, d.h. nicht nur
Einnahmen aus Mahngebühren, sondern auch solche aus
Fernleihgebühren, Ersatz von Büchern,
Vormerkungen, Neuausfertigungen von in Verlust geratenen
Benutzerausweisen u.a.. - Begründung: Mit den
Einnahmen werden die Bibliotheken in den Stand gesetzt,
die im jeweiligen Zusammenhang anfallenden Kosten zu
decken, ohne den Buchetat belasten zu müssen. Im
übrigen handelt es sich hierbei um eine der wenigen
Refinanzierungsmöglichkeiten der Bibliotheken; die
Erzielung von Einnahmen sollte auf diese Weise
unterstützt werden.
- Die Landesbibliotheken verfügen im Haushalt 1996 bei
15 27 538 71 ("Sonstige Dienstleistungen und
Gestattungen") über einen Ansatz in Höhe von
insgesamt 355.000 DM für bestandserhaltende
Maßnahmen: Buchrestaurierung,
Massenkonservierungsmaßnahmen und
Verfilmungsmaßnahmen (s. dortigen Haushaltsvermerk).
Dieser Ansatz entspricht dem Usus anderer
Bundesländer und wird vom DBV außerordentlich
begrüßt. Andererseits haben die
Hochschulbibliotheken einen solchen Ansatz nicht in den
Haushaltsplänen ihrer Universitäten. Aus dem
Titel 523 71 ("Wissenschaftliches Schrifttum") können
bestandserhaltende Maßnahmen nicht finanziert
werden. Der DBV schlägt daher vor, auch in den
Universitätshaushalten einen solchen Haushaltsvermerk
anzubringen, sodaß dann alle wissenschaftlichen
Bibliotheken in der Lage sind, die dringendsten
Maßnahmen zur Sicherung wertvoller Bestände
vorzunehmen.
- Die Retrokonversion von Bibliothekskatalogen in
maschinenlesbare Datenbanken ist eine Aufgabe, die nur
alle Bibliotheken gemeinsam leisten können. Sie
können dies unmöglich aus eigener Kraft tun, da
dies ihre Kräfte übersteigt. Andererseits kann
ein Unternehmen solchen Ausmaßes nicht einzelnen
Bibliotheken allein zugemutet werden. Folgerichtig findet
sich im sog. IT-Gesamtplan ein Ansatz für
Retrokonversionsmaßnahmen. Dieser ist allerdings
viel zu gering und mußte im übrigen für
1996 mit Billigung der Bibliotheken anderweitig genutzt
werden, um die Einspeisung von Fremdleistungen in die
zentrale Datenbank voranzutreiben. Hier ist es notwendig,
eine Perspektive zu entwickeln, die es den Bibliotheken
erlaubt, kontinuierlich, wenn auch langsam die Konversion
der Zettelkataloge voranzutreiben.
Wie wichtig das ist soll eine Marburger Zahl verdeutlichen: Trotz eines rückläufigen
Erwerbungsetats sind im letzten Dreivierteljahr die
Ausleihzahlen aus dem Büchermagazin (ohne
Lehrbuchsammlung) um gut 20% gestiegen - eine
Entwicklung, die nicht nur auf die komfortablen
Recherchemöglichkeiten des OPAC, sondern auch auf
die Anstrengungen der Bibliothek im Bereich der
Retrokonversion zurückzuführen sind (seit
Projektbeginn Ende 1993 wurden über 100.000 Titel
konvertiert).
7.11.1996
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