archiv/dbv

Texte des Deutschen Bibliotheksverbandes. Landesverband Hessen

Text vom 07.11.1996:

Wissenschaftliche Bibliotheken. Aktuelle Themen und Thesen

Die Lage der wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes Hessen ist sehr ernst. Die Etatkrise bedroht ihre Substanz:


Die Auswirkungen des in diesen Zahlen zum Ausdruck kommenden Informationsmangels von Wissenschaft und Forschung sind im Hinblick auf ihre internationale Konkurrenzfähigkeit und damit langfristig auf die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit des Standortes Hessen/Deutschland katastrophal.

In einer Zeit, in der sich die für eine effektive Forschung unabdingbare Information jeweils in kurzen Abständen verdoppelt, ist eine Reduktion der Mittel für die Erwerbung und Vermittlung von Informationen im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes äußerst kontraproduktiv, ja fatal. Sie rächt sich langfristig bitter.

Angesichts des Zustands der öffentlichen Finanzen können die Bibliotheken derzeit aber nicht mit Zuwächsen rechnen. Gleichwohl sind sie verpflichtet, den Politikern den Ernst ihrer Lage aufzuzeigen, um ihnen Gelegenheit zu geben, darauf zu reagieren.

Was die Bibliotheken neben einer angemessenen Ausstattung vorallem benötigen, ist Planungssicherheit. Gerade wenn die Mittel knapp sind, wünschen sie sich eine berechenbare und verbindliche regionale Bibliotheksplanung des Landes. Eine Grundlage dafür liegt in den Empfehlungen einer vom HMWK eingesetzten Arbeitsgruppe vor: "Informationssystem Hessen. Ziele, Struktur, Aufbau, Kostenmodell" (1994). Im übrigen ist inzwischen genug geplant und empfohlen worden; nun müssen die Planungen den finanziellen Möglichkeiten entsprechend umgesetzt und verbindlich gemacht werden.

Die bevorstehende Einführung von Globalhaushalten erfüllt die Hochschulbibliotheken mit Sorge. Damit würden die Etats der zentralen Universitätsbibliotheken ganz den Zufällen inneruniversitärer Interessenkonflikte ausgeliefert. Planungssicherheit ist damit ebensowenig zu gewährleisten wie ein angemessenes Verhältnis der Dotierung von zentraler UB und dezentralen Institutsbibliotheken. Schon unter den gegebenen schwierigen finanziellen Verhältnissen zeigt sich, daß die Ausstattung der Zentralbibliotheken in den letzten fünf Jahren kontinuierlich zurückgegangen, während im gleichen Zeitraum die Summe der von den dezentralen Bibliotheken an den Universitäten verausgabten Buchmittel angestiegen ist. Die Bibliotheken befürchten, daß sich auf Grund der Besetzung des Haushaltsausschusses (Professoren-Mehrheit --> dezentrales Interesse) diese Tendenz unter den Bedingungen des Globalhaushalts und der verschärften Auseinandersetzungen um das knappe Geld verstärkt fortsetzt.

Der Globalhaushalt wird insgesamt die zentrifugalen Kräfte im Bibliothekssystem noch mehr stärken, die ohnehin schon stark sind. Das hat mit Sicherheit eine Verringerung der Kosteneffizienz zur Folge und bewirkt zudem eine weitere Zerfaserung. Bei der Betrachtung dieser Entwicklung, muß bedenken daß nach unseren Erfahrungen nur von den Zentralbibliotheken Impulse zu strukturellen Verbesserungen ausgehen, etwa im Bereich der Erwerbungskoordinierung, d.h. Impulse zur wirtschaftlichen und sparsamen Ausschöpfung der Ressourcen am Ort.

In Marburg haben diese Impulse in neun Fällen zu vertraglich vereinbarter Zusammenarbeit zwischen dezentralen Bibliotheken und der UB geführt, ja zu deren organisatorischer Zusammenlegung im Sinne einer "funktionalen Einschichtigkeit" ("Teilbibliotheken"); dadurch werden z.B. unnötige Doppelungen 100%ig ausgeschlossen. Eine UB jedoch, die in ihrer Leistungsfähigkeit zu Gunsten der dezentralen Bibliotheken immer weiter reduziert wird, kann keine Impulse setzen und ist als Gesprächspartner für diese uninteressant. Es muß also auch unter dem Vorzeichen des Globalhaushalts politisch darum gehen, das Verhältnis zwischen Fachbereichsbibliotheken insgesamt und der UB im Sinne des Wissenschaftsrats abzusichern, der eine Relation von 60 : 40 empfohlen hat.

******

Folgende konkrete Punkte schlägt der DBV zur schrittweisenVerbesserung der Situation der wissenschaftlichen Bibliotheken vor:

  1. Erweiterung eines bei den Hochschulen (nicht bei den Landesbibliotheken) bestehenden Haushaltsvermerks, der die Möglichkeit eröffnet, alle Einnahmen der Bibliotheken in Abweichung vom Bruttonachweis von der Ausgabe bei der ATG 71 abzusetzen, d.h. nicht nur Einnahmen aus Mahngebühren, sondern auch solche aus Fernleihgebühren, Ersatz von Büchern, Vormerkungen, Neuausfertigungen von in Verlust geratenen Benutzerausweisen u.a.. - Begründung: Mit den Einnahmen werden die Bibliotheken in den Stand gesetzt, die im jeweiligen Zusammenhang anfallenden Kosten zu decken, ohne den Buchetat belasten zu müssen. Im übrigen handelt es sich hierbei um eine der wenigen Refinanzierungsmöglichkeiten der Bibliotheken; die Erzielung von Einnahmen sollte auf diese Weise unterstützt werden.

  2. Die Landesbibliotheken verfügen im Haushalt 1996 bei 15 27 538 71 ("Sonstige Dienstleistungen und Gestattungen") über einen Ansatz in Höhe von insgesamt 355.000 DM für bestandserhaltende Maßnahmen: Buchrestaurierung, Massenkonservierungsmaßnahmen und Verfilmungsmaßnahmen (s. dortigen Haushaltsvermerk). Dieser Ansatz entspricht dem Usus anderer Bundesländer und wird vom DBV außerordentlich begrüßt. Andererseits haben die Hochschulbibliotheken einen solchen Ansatz nicht in den Haushaltsplänen ihrer Universitäten. Aus dem Titel 523 71 ("Wissenschaftliches Schrifttum") können bestandserhaltende Maßnahmen nicht finanziert werden. Der DBV schlägt daher vor, auch in den Universitätshaushalten einen solchen Haushaltsvermerk anzubringen, sodaß dann alle wissenschaftlichen Bibliotheken in der Lage sind, die dringendsten Maßnahmen zur Sicherung wertvoller Bestände vorzunehmen.

  3. Die Retrokonversion von Bibliothekskatalogen in maschinenlesbare Datenbanken ist eine Aufgabe, die nur alle Bibliotheken gemeinsam leisten können. Sie können dies unmöglich aus eigener Kraft tun, da dies ihre Kräfte übersteigt. Andererseits kann ein Unternehmen solchen Ausmaßes nicht einzelnen Bibliotheken allein zugemutet werden. Folgerichtig findet sich im sog. IT-Gesamtplan ein Ansatz für Retrokonversionsmaßnahmen. Dieser ist allerdings viel zu gering und mußte im übrigen für 1996 mit Billigung der Bibliotheken anderweitig genutzt werden, um die Einspeisung von Fremdleistungen in die zentrale Datenbank voranzutreiben. Hier ist es notwendig, eine Perspektive zu entwickeln, die es den Bibliotheken erlaubt, kontinuierlich, wenn auch langsam die Konversion der Zettelkataloge voranzutreiben.

    Wie wichtig das ist soll eine Marburger Zahl verdeutlichen: Trotz eines rückläufigen Erwerbungsetats sind im letzten Dreivierteljahr die Ausleihzahlen aus dem Büchermagazin (ohne Lehrbuchsammlung) um gut 20% gestiegen - eine Entwicklung, die nicht nur auf die komfortablen Recherchemöglichkeiten des OPAC, sondern auch auf die Anstrengungen der Bibliothek im Bereich der Retrokonversion zurückzuführen sind (seit Projektbeginn Ende 1993 wurden über 100.000 Titel konvertiert).


7.11.1996

[Zur Anfangsseite des Archivservers]